Die Macht der Paten bröckelt

Elisabetta Carulla ist eine der jüngsten Bürgermeisterinnen Italiens. Sie hat der Mafia in Kalabrien den Kampf angesagt – auch deren Frauen  ■ Von Nathalie Daiber

An den Tag ihrer Wahl kann sich Elisabetta Carulla, Bürgermeisterin von Stefanachoni im Hinterland der kalabrischen Provinzhauptstadt Cosenza, noch gut erinnern: „Carabinieri mußten alles absichern, sonst hätte es hier überhaupt keine Wahl gegeben.“ Ihr Vorgänger, ein Sozialist, kam ins Gefängnis, weil er der Mafia, die hier „Ndrangheta“ heißt, Aufträge zugeschanzt hatte. So wurde die 29jährige parteilose Elisabetta zur Bürgermeisterin gewählt. Tatsächlich scheint es so, als bliebe auch die kalabrische Mafia, bisher ein reiner Männerverein, von der Emanzipation nicht verschont: Sowohl in der Kriminalität als auch in der nur rudimentär vorhandenen Antimafiabewegung drängen Frauen immer mehr nach vorn.

Die Ndrangheta unterscheidet sich in zwei Punkten von der sizilianischen Mafia: Während die sizilianischen Clans sich zwar Familien nennen, sind sie faktisch keine Familien. Im Gegenteil, es wird peinlichst darauf geachtet, daß nicht zu viele in einem Clan aus einer Familie stammen. Damit will man Streitereien durch Bevorzugung verhindern. In Kalabrien dagegen entsprechen die Clans wirklich Familien. Dort bleiben die Frauen aber außen vor. Mafiosi können sie nicht werden, ihnen obliegt die Herrschaft im Haus.

Hausfrauen und Mütter schleusen die Drogen ein

Zweitens haben es die kalabrischen Clans bisher nie zu einer dauerhaften überregionalen Zusammenarbeit gebracht wie die Mafia in Sizilien. Sie kämpfen um die Vorherrschaft in Vierteln oder im Drogengeschäft. Die Gewalt richtet sich dabei vor allem gegen andere Familien. Das heißt aber nicht, daß in Kalabrien keine Unbeteiligten getötet würden.

Der Bausektor, die industrialisierte Landwirtschaft sowie jegliche Kleinkriminalität, von Diebstahl bis zu Drogengeschäften, werden von den örtlichen Ndrangheta-Gruppen kontrolliert. „Hier ist die Mafia alleiniger Arbeitgeber“, sagt die Soziologin Renate Siebert. Die Mafia arbeitet mittlerweile auch mit Frauen zusammen – gerade im Drogengeschäft und im Finanzsektor. Frauen als Drogendealerinnen sind nicht ungewöhnlich. Selbst den Transport von Drogen aus anderen Ländern nach Italien wickeln Hausfrauen und Mütter ab. In den letzten Jahren arbeiten immer mehr Frauen als Finanzexpertinnen in der Mafia. Das geht auf ein in den 80er Jahren erlassenes Antimafiagesetz zurück, das es ermöglicht, Mafiakapital zu beschlagnahmen. Deshalb haben die großen Mafiabosse ihr Geld ihren Frauen, Onkeln, Neffen, aber auch alten Leuten, die in Heimen leben, überschrieben.

„Aber dort, wo die Wurzeln der Macht sind – die Gewalt –, gibt es keine Frauen in der Mafia“, weiß Renate Siebert, „im Gegenteil: Emanzipation innerhalb des Machtgebildes Mafia ist für Frauen nicht möglich.“ Denn noch besteht in der Mafia die traditionelle Rollenteilung: Die Männer sind für das öffentliche Leben und die großen Geschäfte zuständig, die Frauen für die Familie und deren Versorgung.

Auf der anderen Seite sind es vorwiegend Frauen, die als Nebenklägerinnen in Prozessen gegen die Mafia auftreten. Sie tun es, obwohl sie sich dann vor Gewalt gegen sich und ihre Familie fürchten müssen und wirtschaftliche Schwierigkeiten auf sie zukommen. Wenn sie ein Geschäft haben, kauft niemand mehr bei ihnen, niemand spricht mehr mit ihnen – sie werden isoliert. Frauen, die aus „gestandenen“ Mafiafamilien kommen, werden gar aus der Familie ausgeschlossen.

Die Frauen wehren sich meist, weil die Mafia ihre Männer oder Söhne umgebracht hat. Oder auch weil sie ihre Männer oder Söhne aus dem Mafiamilieu herausholen wollen. Erst seit kurzem gibt es in verschiedenen Orten vor allem junge Leute, die sich gegen die Mafia organisieren. Sie haben sich in Jugendgruppen zusammengeschlossen, sind zu den Kommunalwahlen angetreten und drängen immer mehr in die Kommunalverwaltungen. Ihr Programm: der Kampf gegen die Mafia.

Das war denn auch das Erfolgsgeheimnis Elisabetta Carullas aus Stefanachoni, die mit ihren 29 Jahren zu einer der jüngsten Bürgermeisterinnen Italiens wurde. „Einen Monat habe ich nicht geschlafen, bis ich mich entschieden hatte, anzutreten. Auch wenn es mein Leben kosten wird“, sagt sie, „aber der Kampf hier gegen die Mafia ist einfach zu wichtig!“ Der Gruppe, die sie unterstützt, geht es vor allem um den Kampf gegen die Klientelwirtschaft, die auch dort, wo keine Mafia herrscht, Italiens Politik seit jeher korrumpiert. „Ich habe gesagt: Wählt mich, aber ihr kriegt nachher nichts von mir.“ Denn normalerweise sind Wahlen ein Geben und Nehmen: Die PolitikerInnen bekommen die Stimmen, und die WählerInnen kriegen nach der Wahl die versprochenen Jobs, die versprochenen öffentlichen Aufträge oder einfach nur ein Telefon. „Ich habe gesagt: Ich bin die Bürgermeisterin von ganz Stefanachoni, alle kriegen das gleiche. Nicht nur die, die mich gewählt haben.“

Ein halbes Jahr haben Carabinieri in Stefanachoni nach dem Rechten gesehen; inzwischen sind sie wieder weg, und prompt gingen die Repressionen wieder los. Das Auto von Elisabetta Carulla ist angezündet worden, ihre Familie wurde bedroht. Als sie zum erstenmal zehn Tage in Urlaub gefahren war, hat die Mafia auch das Auto einer ihrer Dezernentinnen angezündet und zwölfmal in die Eingangstür ihres Hauses geschossen. „Ich bin sofort zurückgekommen und habe die zehn Tage damit verbracht, auf die Frau einzureden, daß sie weitermacht“, erzählt Elisabetta Carulla. Ihr selbst hat der italienische Staat Polizeischutz angeboten, „aber ich habe abgelehnt. Ich wollte trotzdem ein normales Leben.“

Sie kämpft dagegen, daß die Menschen in stetiger Angst leben müssen: „Die meisten hier finden es gut, was ich mache, aber sie haben auch Angst. Wirkliche Unterstützung bekomme ich aber von den jungen Leuten, 60 bis 70 Prozent. Das ist doch was, nicht?“

„Sie ist zwar jung, aber sie hat studiert“

Daß da eine Frau kandidierte, war zuerst Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner: „Sie sagten: Wie? Wollt ihr wirklich eure Angelegenheiten in in die Hände einer Frau, und noch dazu einer so jungen, legen? Aber die Menschen hier haben geantwortet: Die hat studiert und kann Fremdsprachen. Damit stand ich auf der gleichen Stufe wie mein Gegenkandidat!“ Außerdem, betont sie, war den Menschen hier der Kampf gegen die Mafia „zu wichtig, und daß ich jung bin und in keiner Partei, ist zumindest eine gewisse Garantie dafür, daß ich nicht mit der Mafia unter einer Decke stecke“.

Daß die Ausbildung Elisabettas eine Rolle spielte, kommt nicht von ungefähr. Viele Familien in Kalabrien sehen in Bildung einen Ansatzpunkt gegen die Mafia; sie schränken sich ein, damit ihre Kinder studieren können. Dabei sind es mittlerweile mehr Frauen als Männer, die auf Hochschulen gehen. „Auch wenn die jungen Frauen mit Feminismus hier wenig am Hut haben, ist es, glaube ich, das Verdienst der Frauenbewegung, daß so viele Frauen auch in die öffentlichen Institutionen drängen“, sagt Giulianna Mocchi, Universitätsprofessorin in Cosenza und Präsidentin des Frauenzentrums Nosside (siehe unten).

Einen überregionalen Zusammenschluß der Jugendgruppen gibt es bisher nicht, und das empfinden viele als Mangel. Dennoch sehen die Frauen in Kalabrien ihre bisherigen Erfolge schon als richtungweisendes Zeichen – möglicherweise für ganz Italien. „Vielleicht“, sagt die Lehrerin Mariorita Lojelo, „kommt der so notwendige Wandel Italiens ja diesmal tatsächlich aus dem Süden.“