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Das Alka-Seltzer-Kontinuum

Wenn in den Weiten des Internet virtuelle Räume existieren, dann muß das auch für die Zeit gelten. Folglich ist es legitim, über Dinge zu berichten, die erst in ferner Zukunft oder überhaupt nicht passieren. Begeben wir uns also in das virtuelle Kontinuum von Raum und Zeit und sammeln Eindrücke von der diesjährigen Ce- Bit, die wie immer nächste Woche stattfindet. Das einzig wirklich Wichtige sind die Partys; sie stärken den müden Wanderer. Also besuche ich am Vorabend der Eröffnung die „Burn In Party“ des Softwarehauses Symantec.

Die dafür angemietete Innenstadtkneipe ist hoffnungslos überfüllt, der Türsteher überfordert, und so dauert es an die zwanzig Minuten, bis ich zu Bier, Schnittchen und Chili vorgedrungen bin. Unterwegs treffe ich Carsten, der mir Partytips für die ganze Woche ins Ohr brüllt. Es wird eine lange Nacht. Das Katerfrühstück am nächsten Morgen ist das einzige, was ich an diesem Tag mitbekomme. Über Produkte und Neuheiten wird nicht geredet, die kennt sowieso jeder. Am Abend geht es dann in die Music-Hall von Hannover – der Ziff-Verlag, CompuServe, Nina Ruge und Franziska van Almsick! Eine Einladung habe ich nicht. Da alle mit Namensschildern herumrennen, nehme ich ein Alka-Seltzer-Briefchen vom Katerfrühstück, stecke

es in die Plastikhülle und hefte es ans Revers. Wieder eine lange Nacht. Die Band ist hervorragend, das Essen exquisit, und wer mein Plastikschild mißtrauisch beäugt, den beruhige ich mit Schulterklopfen und den Worten: „Freunde nennen mich Al.“

Kaffee ist die Messedroge, ohne ihn überlebt das keiner. Leider gibt es ihn nicht überall. Die Hallen sind überfüllt, die Schlangen lang, und an den Ständen sind sie auch nicht mehr so freigebig. Also muß ich wieder eingeladen werden, am besten in einer ruhigen Halle, in der noch Luft zum Atmen bleibt. Dort, wo man Geldautomaten an Banken verkauft, ist es ideal. Ich binde die Krawatte um, studiere Prospekte, um für den Blafasel gewappnet zu sein und spiele den interessierten Entscheidungsträger. „Dürfen wir Ihnen einen Kaffee anbieten?“ Man darf.

Auf dem Rückweg will mir jemand eine Internet-Komplettlösung verkaufen. Ich verstricke mich in eine Diskussion, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, daß zu jeder Lösung auch ein Problem gehört, bei kompletten allemal. Die junge Dame gibt es irgendwann auf und erzählt, daß sie Biologie studiert und das nur nebenbei macht. Auch ich mache das nur nebenbei und begebe mich zur Standparty bei Sybex. Dort gibt es wenigstens richtiges Bier. Und Schnittchen.

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