■ Spaniens Sozialisten können gelassen unterm Obstbaum sitzen, bis ihnen die reifen Früchte wieder in den Schoß fallen
: Süßeste Niederlage, bitterster Sieg

Der stellvertretende Generalsekretär der PSOE, Alfonso Guerra, war in seiner Jugend Amateurschauspieler. Das belegen Fotos, die ihn bei einer Aufführung von „Warten auf Godot“ zeigen. Doch Guerra ist insgeheim auch Dichter. Das bewies er dieser Tage mit einem fast schon shakespearereifen Satz über das Ergebnis der Wahlen vom vergangenen Sonntag: „Die süßeste Niederlage, der bitterste Sieg“. Eine lyrische Weisheit, die erst durch die Betrachtung der Erwartungen im Vorfeld des Urnenganges so richtig klar wird.

Ihm ging eine dreijährige Hetzkampagne zum Sturz der Regierung voraus. Sie stützte sich auf die Fehler der Regierung – wirtschaftliche Korruption, aber auch geistig-moralische Korruption – in Form des „schmutzigen Krieges“ gegen den ETA-Terrorismus. Drei lange Jahre, in denen Justiz und Medien ihren Belagerungsring um einen zusehends geschwächten Felipe González immer enger zogen. Alle Welt erwartete eine abgrundtiefe Wahlschlappe. Doch weit gefehlt. Die Partido Popular (PP) hat zwar die Wahlen gewonnen, doch ohne daß die PSOE dabei unterging. Ganz im Gegenteil, die Sozialisten können sich gelassen unter den Obstbaum setzen und abwarten, bis ihnen erneut die reifen Früchte in den Schoß fallen.

Das überraschende Wahlergebnis läßt sich auf verschiedene Ursachen zurückführen. Die Kampagne zum Sturz der Regierung war überzogen und rief so zum einen den Selbstverteidigungstrieb bei den Anhängern der PSOE wach, während zum anderen die restliche Bevölkerung dermaßen mit Skandalen eingedeckt wurde, daß sie schon bald jedes Interesse verlor. Außerdem hat es Felipe González einmal mehr verstanden, die alten Ängste vor Spaniens Rechter zu mobilisieren. In leicht modernisierter Form malte er ein neoliberales Schreckgespenst an die Wand, das angetreten ist, den Sozialstaat zu verschlingen. Und die linke Alternative Izquierda Unida (IU), als einzige in der Lage, den Sozialisten wirklich ihr Terrain streitig zu machen, zog abermals als fundamentalistische, ehrliche, utopistische Kraft in den Wahlkampf – voller guter Absichten, aber ohne jegliche Aussicht auf Veränderung des aktuellen Machtgefüges. Die Umfragen, ja selbst die Prognose, die noch nach Schließung der Wahllokale eine mögliche absolute Mehrheit für die PP vorhersagten, waren nicht in der Lage, dies zu erfassen. José Maria Aznar, Vorsitzender der PP und möglicher Regierungschef, ist ein farbloser Mensch, von dem selbst seine Frau behauptet, er hätte einen leicht dümmlichen Gesichtsausdruck. Daß er trotzdem an der Parteispitze steht, läßt sich nur durch seine Hartnäckigkeit und durch die Schwierigkeiten der Rechten erklären, eine neue Führungspersönlichkeit aufzubauen. Schuld daran ist die Verbundenheit mit dem Franquismus – eine Etappe, in der die Rechte sich darauf einschwor, daß es nur einen Führer gab: Franco, Franco und abermals Franco.

Zwanzig Jahre nach dem Tod des Diktators wollte Aznar die Rechte in die politische Mitte verwandeln. Dabei gab er ihr seine ihm eigene Farblosigkeit mit auf den Weg. Als Aznar Felipe González erst einmal mit dem Rücken an der Wand hatte, fing er an, für eine absolute Mehrheit zu kämpfen, um den erschrockenen Wirtschaftsbossen Sicherheit versprechen zu können. Der Wechsel vom Pragmatiker González zum farblosen Aznar war für die Unternehmer trotz allem ein schwerer Schritt. Die Bankiers wollen vor allem eine stabile Regierung. Der Rest ist ihnen egal, denn sie wissen nur zu gut, daß sich die Wirtschaftspolitik einer Mitte-rechts-Regierung von der einer Mitte-links-Regierung nur wenig unterscheidet.

Jetzt stehen die Wirtschaftsführer an der Klagemauer und beweinen die Schwierigkeiten Aznars bei der Regierungsbildung. Diese ist ein fast unmögliches Unterfangen. Aznar setzte all die Jahre auf die spanisch-nationalistische Karte gegen die Zentrifugalkräfte des katalanischen Nationalismus. Selbst wenn er bereit sein sollte, von seinen schlimmsten spanisch-nationalen Eskapaden abzulassen, um so doch noch mit dem gemäßigten Teil der Katalanen paktieren zu können, bleibt das Problem seiner Basis. Sie ist weder emotional noch geistig auf einen solchen Schwenk vorbereitet. Das bewiesen viele Aznar-Anhänger noch in der Wahlnacht: „Pujol, du Zwerg, sprich spanisch!“ skandierten sie und schwenkten dabei wie wild spanische Fahnen.

Unter solchen Bedingungen mit einfacher Mehrheit zu regieren ist mehr als schwierig. Und als fast unmöglich betrachtet man die Aufgaben, die auf die neue Regierung zukommen: Konvergenz Richtung Europäischer Währungsunion und die erneute Herausforderung durch den baskischen Terrorismus.

Im Vergleich zu den „Siegern“ scheint der „Verlierer“ Felipe González guter Laune zu sein. Er weiß, daß die Wahlniederlage nichts weiter als einen Kurzurlaub für ihn bedeutet. Er kann die Zeit nutzen, um wieder Ordnung in seine PSOE zu bringen und Wählerstimmen zurückzuerobern, um sich in absehbarer Zeit erneut als die dringend notwendige Alternative zu präsentieren.

Zählt man die Stimmen von IU und PSOE zusammen, wird deutlich, daß Spanien noch immer mehrheitlich links wählt, auch wenn das Auszählverfahren der Rechten im Kostüm der politischen Mitte einen leichten Vorsprung im Parlament einräumt. Wie in solchen Fällen üblich, träumen die Sozialisten und Postkommunisten von Erneuerung und von der Rückgewinnung der verlorenen Unschuld. Aber wenn erst einmal die Wochen und Monate ins Land gehen, werden auch sie sich mit den kleinen und großen Niederlagen abfinden. Die Sozialisten werden geduldig abwarten, bis sich der politische Gegner an der Macht aufreibt, und die Postkommunisten hoffen wieder auf Fehler der PSOE, um in ihrem Schatten an Einfluß zu gewinnen.

Noch sind wir nicht so weit, daß sich die verschiedenen linken Parteien über ihre Funktion in einer Gesellschaft nach Ende des Kalten Krieges den Kopf zerbrechen – einer Gesellschaft, die immer mehr in den Händen des multinationalen Kapitalismus gehalten wird, eines Kapitalismus, der nichts und niemanden fürchtet und das Wahlspektakel der alten und deshalb etwas überholt wirkenden repräsentativen Demokratie betrachtet, als handle es sich um einen literarischen Wettbewerb. Vielleicht sind ja in den Laboratorien schon längst die politisch-genetischen Ingenieure am Werk und suchen nach der Formel für eine neue Teledemokratie – mittels Telefon, Fax, Fernsehen und Datenautobahnen. Manuel Vázquez Montalbán