Zum fünftenmal seit der Islamischen Revolution 1979 wird morgen im Iran gewählt. Die Auswahl ist begrenzt: rechte Kleriker oder rechte Technokraten. Der „Wächterrat“ hat bei der Zulassung der Kandidaten kräftig gesiebt Aus Teheran Thomas Dreger

Wahl zwischen Industrie und Basar

Zumindest in dem kleinen Imbiß am Busbahnof von Kermanschah ist die Wahlentscheidung bereits gefallen. Zwischen Limokästen und Plastiksäcken voller Brote hängt das Plakat des Wunschparlamentariers: Ingenieur Mudschtaba Muhami Adschagh blickt von oben auf die kauenden Gäste. Ein Programm steht nicht auf dem Transparent, nicht einmal Schlagwörter. Statt dessen signalisieren Berufsbezeichnung und Outfit – Fönfrisur mit Seitenscheitel und ein auf Seriös getrimmter Gesichtsausdruck –, wer hier um Stimmen wirbt: einer der Modernen.

Als ein Unterstützer eines seiner Kontrahenten eintritt, darf dieser zwar ein Plakat neben das Konterfei des Ingenieurs kleben – der rauschebärtige Hadschi (Mekkapilgerer) Ismail Fatara lächelt in Paßbildqualität unter einem Zitat des Ajatollah Chomeini –, doch kaum ist er aus der Tür heraus, verschwindet auch das Bild unter Gelächter zwischen Sandwichresten im Mülleimer.

In den Städten Irans glotzen Hunderte Gesichter von den Wänden. Und keine Freitagspredigt vergeht ohne eine zumindest indirekte Empfehlung. In der nordiranischen Stadt Astara gingen die Zuschauer eines Fußballspiels aufeinander los – wegen politischer Meinungsverschiedenheiten.

Die Protagonisten werden sich immer ähnlicher

„Die letzten beiden Parlamentswahlen waren eine reine Show, aber diesmal gibt es tatsächlich so etwas wie einen Wettbewerb“, meint ein Teheraner Geschäftsmann: „Es ist eine Wahl zwischen Industrie und Basar.“ Obwohl Parteien verboten sind und offiziell nur einzelne Kandidaten zur Wahl stehen, läßt sich die politische Landschaft grob in zwei wichtige Lager einteilen. Auf der einen Seite stehen die konservativen Kleriker um den geistlichen Führer Iran, Ajatollah Ali Chamenei. Sie treten als „Gesellschaft der kämpferischen Geistlichkeit“ auf und stehen den stark religiösen reichen Händlern, den Basaris, nahe. Sie fordern den „Erhalt der Werte der Islamischen Revolution“ bei gleichzeitiger vorsichtiger Öffnung zum Ausland, mit Ausnahme der USA und Israel. Im bisherigen Parlament haben sie eine starke Mehrheit.

Mit ihnen konkurrieren die sogenannten Technokraten um Staatspräsident Hodschatolislam Ali Akbar Haschemi Rafsandschani. Letztere traten im Februar erstmals organisiert auf, als Gruppe der 16, die sich selbst anfangs „Bedienstete der Ordnung“ nannten. Der für die Zulassung von Kandidaten zuständige Wächterrat zwang sie nicht nur, einen weniger systemtragenden Namen anzunehmen – jetzt nennen sie sich „Diener des Aufbaus“ –, sondern auch, sich zu verkleinern. Begründung: Unter den 16 waren zehn amtierende Minister, das Parlament muß aber auch über die Regierung abstimmen. Übrig blieben sechs Kandidaten. Die seither als „G6“ auftretende Gruppe favorisiert den Ausbau von Infrastruktur und der Schlüsselindustrien. Staatliche Unternehmen, einschließlich der Ölindustrie, sollen erst profitabel gemacht und dann privatisiert werden.

Doch je näher die Wahlen rückten, um so bemühter zeigten sich die Protagonisten der beiden Lager, ihre Differenzen zu überspielen. Vertreter, die bisher einer Gruppierung zugerechnet wurden, standen plötzlich auf der Liste der anderen. Am Ende fanden sich zehn identische Namen auf beiden Listen. Beobachter erklären dies mit der Geschichte der Akteure. Beide Lager gehörten zu jener Clique, die 1979 die Islamische Revolution vom Zaun gebrochen hätte, meint ein seit Jahren im Iran lebender westlicher Journalist: „Im Grunde wollen beide das gleiche.“ Unübersichtlich wird das ganze Bild noch durch die Aufstellung von Kandidaten durch Interessengruppen. Zu ihnen gehört ein Zusammenschluß ehemals im Iran internierter Kriegsgefangener genauso wie der Frauenverband.

Mit der Polizei gegen die Freiheitsbewegung

Den Auswahlkriterien des Wächterrats fiel die einzige tolerierte säkulare Gruppierung zum Opfer, die „Freiheitsbewegung“ um Ibrahim Jasdi. In den ersten beiden Auswahlverfahren disqualifizierte der Rat zehn der 14 Kandidaten der Liste – „ohne Begründung“, wie Jasdi kritisierte. Im dritten Auswahlverfahren wurde auch noch Jasdi selbst die Kandidatur verweigert. Vorgestern löste die Polizei auf Geheiß des Innenministers eine Pressekonferenz Jasdis auf, in der dieser den Rückzug der „Freiheitsbewegung“ erläutern wollte. Auch Linksislamisten dürfen nur einige in den größeren Städten kandidieren.

Angesichts solcher „Bereinigungen“ scheren sich viele IranerInnen wenig um die Wahlen. Hinzu kommt, daß das Parlament in dem kaum zu durchschauenden Machtgefüge der Islamischen Republik zu den weniger einflußreichen Institutionen gehört. Der geistliche Führer Chamenei kann so ziemlich jeden Parlamentsbeschluß zunichte machen. Andererseits kann eine hohe Wahlbeteiligung – bei den letzten Wahlen lag sie bei 30 Prozent – dem Parlament zu mehr Autorität verhelfen.