Fußballfans, pilgert ins Theaterhaus!

■ Sitzzwang in Dortmund / Wird Fußball bald unerschwinglich? Ein Warnruf von Christoph Ruf

Es soll ja Menschen geben, die sowohl den schönen Künsten als auch den niederen Freuden des Fußballsports etwas abgewinnen können. Solche Exoten rieben sich vorige Woche im Kartencenter des FC St. Pauli verwundert über die Relationen die Augen. Waren sie es bisher gewohnt, sich dort den Zutritt zu einem Auswärtsspiel für fünf bis fünfzehn Mark erkaufen zu können, mußten sie nun erfahren, daß die Unterstützung der Herren Pröpper & Co. im Westfalenstadion happige 45 Mark kosten würde. Stereotype Begründung: „Tja, in Dortmund besteht die Gästekurve ausschließlich aus Sitzplätzen.“ Die demütige Sitz-Haltung ist zwar auch im noblen Thalia-Theater geboten, jedoch kostet dort die billigste Variante der begehrten Spezies Eintrittskarte nicht einmal ein Fünftel, nämlich acht Mark.

Nun ist die sitzende Position in den Augen des gemeinen Fans dem Anlaß eines Fußballspiels in etwa so angemessen wie das herzhafte Rülpsen während eines Hamlet-Monologs. Doch was kümmern die Befindlichkeiten des Volkes die grauen Eminenzen beim Deutschen-Fußball-Bund (DFB)? Im Stile absolutistischer Herrschaft wurde dort das Nationale Konzept Sicherheit und Sport verabschiedet, demzufolge Dortmunder Verhältnisse spätestens in zwei Jahren in fast jedem deutschen Stadion herrschen werden.

Ab 1998 dürfen bei internationalen Spielen nur noch Sitzplätze verkauft werden – die Clubs stehen mithin vor der Alternative, gegen Real Madrid oder Inter Mailand vor läppischen 10.000 ZuschauerInnen zu spielen oder aber in atemberaubendem Tempo Steh- in Sitzplätze umzuwandeln. Und genau das tun selbst potentielle Absteiger wie der 1. FC Köln, der im Gegensatz zum deutschen Meister indes die „fanfreundlichere“ Variante favorisiert – Sitze, die bei Bundesligaspielen umgeklappt werden können und zumindest ein recht beengtes Stehen ermöglichen.

In Dortmund hingegen waren die Verantwortlichen nach Protesten lediglich dazu bereit, rund 800 der insgesamt 3300 Gästekarten auf sechzehn Mark zu ermäßigen, klagt Sven Brux, Fan-Beauftragter des FC St. Pauli. Diese hat der Fan-Laden an die glücklichen InhaberInnen einer Karte für den ausverkauften Sonderzug weitergegeben. Doch auch dort blieben, so Brux, „für einige hundert Leute nur noch Karten zum Normalpreis von 45 Mark“. Und so entschloß man sich, von allen Zugreisenden für Fahrt und Eintritt einen Durchschnittspreis von 70 Mark zu verlangen.

Glück im Unglück also für BahnfahrerInnen, Pech für die übrigen 2000 St. Pauli-AnhängerInnen wie Torben Villmow aus Ratingen: „Ich fahre zu jedem Pauli-Spiel im Westen und habe bisher nie mehr als zehn Mark bezahlt.“ Nicht nur der angehende Medizin-Student überlegt sich nun, ob er sich „das Hobby in Zukunft noch leisten kann“.

Solche Reflexionen dürften den Herren in der DFB-Zentrale gelegen kommen, ist doch die Vertreibung des weniger finanzkräftigen Stehplatzpublikums das eigentliche Motiv des Unternehmens Versitzplatzung. Verhindern könnte den Exitus traditioneller Fankultur allenfalls noch eine Intensivierung der Proteste. Daher soll „in den kommenden Wochen eine bundesweite Anzeigenkampagne“ initiiert werden, wie Brux erläutert.

Bereits morgen wird es im Westfalenstadion zu einer Abstimmung mit den Füßen kommen. Bequemlichkeit hin, Schalensitze her – wie bereits in Bremen wird das Gros der St. Pauli-AnhängerInnen auch im DFB-Vorzeigestadion zum Spiel der Braun-Weißen stehen.

Doch zurück von den Niederungen des einstmals proletarischen Sports zu den Stätten der Kulturschaffenden. Im Nachbarort Dortmunds hat das Schauspielhaus Bochum flexibel auf die neue Lage reagiert. Mit Kinospots wird das Stehplatzpublikum des ansässigen VfL zum Besuch des örtlichen Theaters animiert – billiger wird's künftig allemal sein.

Der FC St. Pauli spielt morgen um 15.30 Uhr bei Borussia Dortmund