Nicht verurteilen, sondern erkennen

■ Hamburger Stadtteile unterm Hakenkreuz, heute: Bergedorf

In der ersten Reihe stehen uniformierte Eisenbahner, die gemeinsam mit den hinter ihnen stehenden Bürgern massenhaft den Arm zum Hitlergruß ausstrecken. Sie stehen den Hügel aufwärts, der „Führer“ oder wem dieser Gruß gilt, steht über ihnen, ist aber nicht zu sehen. Der Bildbetrachter nimmt in dieser Fotografie seine Position ein. Schauer und Faszination gleichzeitig machen sich breit. Schauer durch das blinde Unterordnen dieser Menge und Faszination durch die Machtübertragung, die der Betrachter so erfährt.

Diese Aufnahme ist eine der eindrücklichsten Zeugnisse der Ausstellung Bergedorf im Gleichschritt, eine Darstellung der Vorstadt vor und während Hitlerdeutschlands. Thematisch hatten sich die Mitglieder des Kultur- und Geschichtskontors Bergedorf schon länger mit diesem Komplex auseinandergesetzt. Ein Zufall brachte dann diese Ausstellung ins Rollen. 250 Fotos aus der Endzeit der Weimarer Republik und der Nazidiktatur wurden ihnen aus einem Nachlaß übertragen. Damit war es möglich, ein direkt vermittelbares Bild dieser Vergangenheit in Bergedorf herzustellen.

Herausgearbeitet wird, vor allem in dem parallel zur Ausstellung erschienenem Buch, das im Selbstverlag erschienen ist, die Funktionsweise des Naziregimes in den unterschiedlichsten Bereichen. So geht es zentral um die Dokumentation der (anfänglichen) Akzeptanz des Faschismus bei großen Teilen der Bevölkerung. Unter anderem mit der Darstellung der damals durchaus positiv empfundenen Seiten des Alltags wird versucht, ein Verstehen der Funktionsweise des Naziregimes herzustellen. Wichtig war es den Autoren, auf ähnliche Machtstrukturen von damals und heute hinzuweisen. Nicht verurteilen, sondern erkennen, lautet das Credo des Buches.

Mehrere Kapitel der Dokumentation und Teile der Ausstellung nehmen sich der Verfolgung der Juden, dem KZ Neuengamme und der Zwangsarbeit an. „Von Anfang an arbeiteten wir zehn Stunden am Tag. Seit 1943 hatten wir einen immer schwereren Stand. Es begann eine Zweischichtenarbeit von zwölf Stunden. Nach der Fabrik arbeiteten wir noch im (Gemüse)lager. Wir wurden Roboter.“ So schilderte die urkrainische Zwangsarbeiterin Panja Makrij die Arbeitssituation. Über 100.000 Menschen waren in dem zu Bergedorf gehörenden KZ zusammengepfercht. 55.000 kamen um. Entweder starben sie durch harte körperliche Arbeit, wie bei der Verbreiterung der Dove-Elbe, oder in den Fabriken, die sich auf dem KZ-Gelände befanden, etwa MAN, Rüstungsbetriebe und Klinkerherstellung.

Durch den Bezug, den die Ausstellung zu dem Stadtteil herstellt, ergeben sich in den Räumen immer wieder Gespräche zu dieser Zeit. Ein älterer Herr erzählt von seiner Verhaftung. Jemand hatte ihn angezeigt, weil er ein Flugblatt der Kommunisten verteilt hatte. Sofort vertieft sich das Gespräch anhand der Fotos an den Wänden.

Und auch umgekehrt geht das Konzept auf. Ein Vater beantwortet seinem kleinen Sohn Fragen zu den Uniformen und den Häftlingskleidern. Und daß in dem Haus, aus dem auf einem Foto eine Nazifahne hängt, jetzt McDonalds Hamburger verkauft werden, zeigt dem Jungen, daß die Nazivergangenheit auch in Bergedorf stattgefunden hat.

Marcus Peter

Mo, Di, Fr, 10-16, Mi, 10-20 Uhr, Kultur- und Geschichtskontor Bergedorf, Reetwerder 17, bis 2.8.