piwik no script img

„Ich will nicht zynisch sein“

■ Weil eine Türkin vor der Gewalt ihres Ehemannes floh, soll sie nun zurück in die Türkei. Dort fürchtet sie die Wut der Eltern. Nachgefragt bei Innensenator Borttscheller.

Zwei junge türkische Frauen sind in Bremen vor der Gewalt ihrer Ehemänner geflohen, bevor sie ein Jahr in Deutschland lebten. FreundInnen haben ihnen Zuflucht gewährt, doch die beiden Frauen befürchten die Ausweisung (siehe taz vom 1.3.). Es greift der Paragraf 19 des Ausländergesetzes, der zugezogenen EhegattInnen erst nach dreijährigem Leben mit dem Ehepartner ein eigenständiges Aufenthaltsrecht einräumt.

Die Frauenbeauftragte Hauffe hat sich beim Bremer Innensenator für eine der beiden Betroffenen eingesetzt, die aus einem türkischen Dorf stammt und ihren Ehemann gegen den Willen der Eltern geheiratet hat. Wenn sie in die Türkei zurückkehren müßte, wüßte sie nicht wohin. Aus der Sicht der Eltern hat sie die Familienehre verletzt. Deswegen hat die junge Frau Angst. Die taz sprach mit Innensenator Ralf Borttscheller.

Herr Borttscheller, was können Sie in diesem Fall tun?

Das ist ein wirklich problematischer Fall. Unbefriedigend an der gesetzlichen Regelung ist ja der Umstand, daß ein Gesetz nie so ausgelegt werden kann, daß jeder denkbare Lebenssachverhalt in allen seinen Feinheiten geregelt ist.

Bei der Regelung des Aufenthaltsrechts für Ehegatten gab es ein Bündel von Motiven für die Ausgestaltung, zum Beispiel die unangenehmen Erfahrungen mit der Scheinehe, die ja nur schwer zu greifen ist. Deshalb wurden Fristen eingebaut, und man hat gesagt, die eheliche Lebensgemeinschaft soll mindestens vier Jahre bestehen. So lange kriegt man keine Scheinehe hin. Dann kann es natürlich Härten geben. Deshalb ist es möglich, nach dreijährigem Aufenthalt im Bundesgebiet dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Damit wollte man Fälle wie im beschriebenen Fall erreichen, wo die Frau keinerlei Verschulden an ihrer Situation trägt, sondern einseitig das Verhalten eines Ehepartners die Situation heraufbeschwört.

KritikerInnen des Gesetzes sagen, vor allem Frauen werden benachteiligt, und fordern deshalb ein eigenes Aufenthaltsrecht für Frauen.

Ja. Da gehen die Auffassungen gaaanz weit auseinander. Wenn ich das einseitig aus der Sicht der Frauen sehe, gebe ich Ihnen recht. Es gibt aber auch gegenteilige Fälle.

Die betreffen aber nicht den jetzigen Fall.

Nein. Die Frau ist im Augenblick eine Gefangene dieses Konflikts, der im Gesetz so nicht geregelt ist.

Glauben Sie also, man müßte das Gesetz ändern, um genau solche Härtefälle zu vermeiden?

Es gibt dazu einen Gesetzesentwurf des Bundesrates, der seit Sommer 94 vorliegt. Der Entwurf befindet sich in der Diskussion. Es gibt eine Fülle von Kritik an einzelnen Bestimmungen des Ausländergesetzes. Im Augenblick ist nur jeder froh, daß das Gesetz überhaupt im Konsens beschlossen ist. Man weiß nicht, was man sich einhandelt, wenn von jeder interessierten Seite gebohrt wird, um einzelne Bestimmungen herauszubrechen.

Nun haben Sie ja selbst diagnostiziert, daß das Gesetz Lücken hat.

Ich will nicht zynisch sein. Aber Gesetzeswerk ist Menschenwerk und deshalb unvollkommen. Wir werden bei jedem Gesetz Fälle finden, wo eine unbefriedigende Regelung bleibt. Der Bundesrat will beispielsweise, daß die Drei-Jahres-Frist ersatzlos wegfällt. Dann haben wir das Problem, daß es zu einer Ermessensentscheidung kommt.

Wären Sie als Innensenator nicht glücklich, genau in einem Fall wie jetzt Handlungsfreiheit zu haben?

Das mag im Einzelfall so sein. Aber ich sage Ihnen, wo die Problematik liegt. Man müßte, um das Gesetz bundeseinheitlich anwenden zu können, dafür sorgen, daß das Ermessen bundeseinheitlich ausgeübt wird, und das ist hoffnungslos. Damit haben alle Bundesinnenminister schlechte Erfahrungen gemacht. Ich würde dafür plädieren, und die Bundesregierung sieht das tendenziell ähnlich, daß man in jedem Fall bei bestimmten Fristen bleiben muß.

Was kommt jetzt auf die Frau seitens der Bremer Behörden zu?

Wir zerbrechen uns durchaus den Kopf, was man in diesem Fall tun kann. Ich bemühe mich, eine Lösung zu finden, die nicht als ungerecht empfunden wird. Das muß salomonisch sein, denn die Rechtslage ist nicht einfach.

Fragen: Eva Rhode

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen