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„Preis der Ohnmacht“

■ Ghislaine Valter betreut ehrenamtlich Flüchtlinge. Den Frauenpreis will sie dafür nicht

Sieben Migrantinnen erhalten heute von der Ausländerbeauftragten Dagmar Lill den Frauenpreis. Gemeinsam ist ihnen laut Einladung, daß sie ehrenamtlich dort tätig wurden, wo „Staat und Gesellschaft versagen“. Eine Frau scherte aus dem jährlichen Ritual aus: Ghislaine Valter, Mitarbeiterin der Asylgruppe Ostertor, lehnte den mit 500 Mark dotierten Preis ab.

„Es wäre ein Preis für meine Ohnmacht“, erklärte die 45jährige Französin in einem Brief an die Ausländerbeauftragte. Das Schreiben listet eine Reihe von Fällen auf, in denen Ghislaine Valter trotz großer Anstrengungen eine Abschiebung nicht mehr verhindern konnte. Da ist zum Beispiel der Mann aus Zaire. Sein Anruf kam aus der Flughafenhalle, morgens um 6.30 Uhr: „Bitte hilf mir, sprich mit den Polizisten. Sie wollen mich nach Kinshasa zurückbringen. Ich werde es nicht überleben, laß es nicht zu!“ Das war das letzte, was Ghislaine Valter von dem Flüchtling hörte. Bis heute hat sie nicht in Erfahrung bringen können, wie es ihm geht, ob er überhaupt noch lebt. „Kein Einzelfall“, bilanziert sie traurig.

Seit drei Jahren kümmert sich die Wahlbremerin um die Abschiebehäftlinge. Sie ist Rechtsbeistand, Psychologin und Sozialarbeiterin in einer Person. Die Flüchtlinge, oft aus dem alleinigen Grund in Haft, weil sie vergeblich Asyl in Deutschland beantragt haben, sind oft erstaunt, wenn jemand von außerhalb bereit ist, mit ihnen zu reden. Ihr anfängliches Mißtrauen weicht „Gigi“ gegenüber meist schnell einer uneingeschränkten Offenheit. Sie sorgt für das Notwendigste im Knast, organisiert Wäsche, frisches Obst, erledigt wichtige Post, bespricht mit den Häftlingen Probleme. Bis zu dreimal wöchentlich fährt sie nach Oslebshausen. An den anderen Tagen konsultiert sie Behörden oder Rechtsanwälte.

Letzteres nimmt immer mehr Zeit in Anspruch. Die Zeit der Mitmenschlichkeit, schimpft die resolute Frau, scheint für viele Anwälte vorbei. Sie sähen nur noch die wirtschaftliche Seite, an Asylbewerbern aber gibt es nichts zu verdienen. So muß Ghislaine Valter bei Anwälten, aber auch bei Sozialarbeitern oder Medizinern, eine Menge Überzeugungsarbeit leisten: „Die haben eine Akte, aber dahinter steckt ein Schicksal.“

Trotz aller Entschiedenheit hat Ghislaine Valter ein gespaltenenes Verhältnis zu ihrer Arbeit. Ihr Einsatz zielt auf die Verbesserung in der Abschiebehaft, welche, so Valter, schnellstens abgeschafft werden müßte. Warum, fragt sie, kann man nicht eine Meldepflicht einführen, bevor die Ausreise ansteht? Das hätte den gleichen Effekt. „Mir geht es prinzipiell darum, die Leute aus der Haft zu kriegen“, sagt sie und erinnert an die vielen Suizidversuche von Häftlingen. Es werden ja selbst Flüchtlinge, die zur Ausreise bereit sind, hinter Gittern festgehalten, schimpft sie. Andere seien schon zehn und mehr Monate im Bau, weil die Behörde die zur Abschiebung notwendigen Papiere nicht beschaffen kann. „Das kann man doch nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge austragen.“

Der Einsatz für die Verbesserung der Haftbedingungen kostet viel Energie, die Ghislaine Valter lieber für die einzelnen Flüchtlinge aufwenden würde. Immer noch gibt es keine Haftordnung, die verbindlich Besuchs- und Aufschlußzeiten, den Alltag der Häftlinge, regelt. Während bei Straftätern und Untersuchungshäftlingen der Anspruch auf soziale und psychologische Begleitung selbstverständlich ist, haben Flüchtlinge keinen Anspruch auf Betreuung. Monatelang hat Ghislaine Valter selbst um das den Flüchtlingen rechtlich zustehende monatliche Taschengeld von 80 Mark kämpfen müssen.

Das Unrecht, meint sie, beginnt bereits in der Ausländerbehörde: „Seit Anfang August kämpfe ich für Lappalien“, etwa einen Telefonapparat auf dem Behördenflur. Ebenso fehlt jegliches Informationsmaterial, das die Flüchtlinge über ihre Rechte im juristisch höchst diffizilen Asylverfahren aufklärt. Abhilfe, meint Valter, könnte eine vom Ressort Ausländerintegration initiierte regelmäßige Sprechstunde schaffen.

„Wenn du in den Knast kommst und der Meinung bist, da kann man was machen, dann machst du es“, beschreibt die ehemalige Banckauffrau die Unausweichlichkeit ihres Handelns. „Wenn du meinst, wir leben in einer Demokratie, die die Menschenrechte achten muß, dann tust du was.“ Ein Grundsatz, den ihr die Eltern in die Wiege legten. Noch heute geht die Mutter Unterschriften gegen die Atomversuche ihrer Regierung sammeln.

Wenn es Ghislaine Valter gelingt, jemanden aus der Haft zu holen oder gar eine Abschiebung zu verhindern, ist sie glücklich. So hat es ein junger Togoer der Halsstarrigkeit dieser in der Ausländerbehörde wohlbekannten Frau zu verdanken, daß sein Asylverfahren noch einmal aufgerollt wurde. Seinem Antrag wurde schließlich stattgegeben. Mit Tränen in den Augen und einer Flasche Parfum in den Händen dankte ihr kürzlich ein Algerier nach monatelanger Haft für die Hilfe zur Freiheit. Oft aber scheitern alle Bemühungen. Schon weil Ghislaine als Ehrenamtliche nicht an die Akten und wichtigen Informationen gelangt. „Statt Preise zu verteilen, sollten sie lieber feste Stellen für so eine Arbeit einrichten“, fordert sie daher.

„Ich lehne es jedenfalls ab, mir den eigenen Antrieb mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen.“ Gefragt, warum sie eigentlich all die Mühe auf sich nimmt, setzt sie mit einem langen Blick aus dem Fenster nach: „Ich will dem Risiko begegnen, mich nach etwas zu sehnen und es zu verwirklichen, Schiffbruch zu erleiden und Erfolg zu haben.“

dah

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