Vom Kiesmachen

Königin des Konsums: Die Sat.1-Serie „Anna Maria“ als Medium der Vermarktung  ■ Von Waltraud Cornelißen

In der fiktionalen Fernsehunterhaltung sind Frauen, insbesondere als Hauptfiguren, nach wie vor unterrepräsentiert. 1990 verwiesen 48,5 Prozent der Titel von Sendungen mit Spielhandlung auf einen Mann und nur 10,6 Prozent auf eine Frau als Hauptfigur. Auch 1994 waren Serienheldinnen, noch dazu solche in einer verantwortungsvollen Berufsposition, selten. Die Sat.1-Serie „Anna Maria – Eine Frau geht ihren Weg“ ist derzeit das prominenteste – und erfolgreicheste Beispiel.

Die Unternehmerwitwe Anna Maria, die das Kieswerk ihres Mannes weiterführt, gehört nicht zu den larmoyanten Frauen, wie sie uns in Serien ansonsten so gerne begegnen. Ihr Einstieg ins Berufsleben ist eine Notlösung. Die Story erzählt also nicht von der Verwirklichung einer langfristigen, eigenständigen weiblichen Lebensperspektive. Vielmehr wird gezeigt, wie eine Frau mit ganz traditioneller Lebensperspektive von einem Schicksalsschlag gezwungen wird, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Aber so deutlich einige Handlungssequenzen auch auf ein neues Frauenbild, auf das Leitbild der beruflich auch in Spitzenpositionen erfolgreichen Frau verweisen, wird mit dem traditionellen Bild der Frau nie wirklich gebrochen: Anna Maria präsentiert sich selbst als makellose Schönheit; sie bleibt der Mutterrolle fest verbunden, hatte vor dem Tod ihres Mannes keine eigenen Berufspläne; ihr Berufsengagement steht ganz im Dienst der Tradierung von Familienbesitz. Die positive Botschaft der Serie, die das Publikum offenbar so gerne zur Kenntnis nimmt, ergibt sich aus einer Erzählung, die „belegt“, daß weiblicher Charme und mütterliche Fürsorglichkeit mit einer verantwortungsvollen Berufsposition vereinbar sind.

Fernsehserien und Fernsehwerbung

Fernsehserien, die speziell auf ein weibliches Publikum abzielen, spielen seit langem für die Werbung eine wichtige Rolle. Um Aufmerksamkeit zu erregen und Kaufbereitschaft zu erzeugen, muß die Werbung dabei immer wieder neu an einen sich wandelnden Zeitgeist anknüpfen. Die Medienwissenschaftler Rolf Kloepfer und Hanne Landbeck beschreiben die Entwicklung der Werbebotschaften nach dem Zweiten Weltkrieg im Ablaufschema: 1) Kauft Güter! 2) Entdeckt eure Wünsche! 3) Nehmt teil an einem Lebensstil! 4) Entfaltet eure Möglichkeiten!

Eine solche Entwicklung erforderte geradezu die Ergänzung der traditionellen Rolle der fürsorglichen Hausfrau, Ehefrau und Mutter durch ein Bild, das der Frau eigenständigen Konsum nahelegt: Die Karreriefrau mit Lifestyle, die nebenbei auch noch glückliche Partnerin, eventuell auch noch Mutter sein möchte, eine Frau, die für andere sorgt, an deren Gesicht aber jede Anstrengung spurlos vorüberzieht und die sich auch in mittleren Jahren ihren mädchenhaften Körper noch bewahren möchte. Dieser Frau kann man viele Produkte anpreisen: solche, die ihren gehobenen Lebensstil symbolisieren und ihre Fürsorge unterstreichen, die ihr helfen, attraktiv zu bleiben, ihren Status im Beruf absichern und ihr Leistungsvermögen steigern.

Dabei hat gerade das traditionelle Geschlechterrollenverständnis, so die Sozialwissenschaftlerin Ulrike Prokop, Frauen auf doppelte Weise für die Werbung interessant gemacht, nämlich als Lockvogel und als Konsumentin. Die den Frauen traditionell vorgeschriebene passive Rolle bei der heterosexuellen Annäherung zwingt Frauen, Aufmerksamkeit durch ihre Erscheinung zu erzeugen. Der geschickt präsentierte weibliche Körper erzeugt männliche Schaulust, aber auch weibliches Interesse daran, wie andere Frauen ihren Körper als Symbol der Verlockung in Szene setzen. Der hohe Aufmerksamkeitswert, der dem weiblichen Körper traditionell zukommt, und sein Signal für Wunscherfüllung macht die Frau deshalb als Lockvogel für die Werbung interessant.

Auch die Rolle der Frau als Konsumentin ist eng mit dem traditionellen Geschlechterrollenverständnis verknüpft. Einerseits erzeugt der hohe Aufmerksamkeitswert gegenüber dem weiblichen Körper einen besonderen Bedarf, sein Äußeres mittels einer breiten Produktpalette zu pflegen und zu stilisieren. Andererseits sind Frauen gemäß der traditionellen Rollenverteilung für das Wohlergehen ihrer Familie und Gäste zuständig. Sie entscheiden über den Kauf von Gütern des täglichen Bedarfs. „Da die Frau allgemein die Wünsche vertritt, ist sie ,Königin‘ des Konsums, der Werbung, ihr Körper, ihr Lächeln das Symbol der Wunscherfüllung im Konsum“, resümiert Prokop.

Anna Marias Warenwelt

So ist denn auch Anna Maria bei allen neuen Aspekten ihres Selbstverständnisses die Stellung als „Königin des Konsums“ geblieben. Sie entscheidet, wo das Au- pair-Mädchen einkauft oder ob der Sohn ein Mofa bekommen kann. Sie muß den Lebensstil ihrer Familie zeitweise zurückschrauben und findet auch in dieser Funktion die Bestätigung ihrer Rolle als „Königin des Konsums“. So führt die Serie keinen gedankenlosen Luxus vor, sondern – der Konjunkturlage entsprechend – den, wenn nötig, auch bedachten Umgang mit Geld. Dennoch wird eine Warenwelt präsentiert, die sich die meisten ZuschauerInnen wahrscheinlich nicht leisten können. Besonders deutlich wird das an dem Aufwand, den Anna Maria mit der Stilisierung ihrer eigenen Person – mit Designerkleidung und exquisitem Make-Up etwa – betreibt. Die Serie entfaltet so eine breite Palette differenzierten weiblichen Konsums, die bei Zuschauerinnen, die sich mit der Protagonistin identifizieren, Nachahmungswünsche anregen dürfte.

Im Umfeld der Serie werden dementsprechend vor allem – nämlich 61 Prozent – Werbespots plaziert, die Lebens- und Genußmittel, Kosmetik, Schmuck und Mode anpreisen. Auffällig ist, wie sich die Präsentationsformen von Familienserien und Werbespots ähneln. Auch die Serie zeigt austauschbare Bilder und Gefühlsschablonen. In Episoden gegliedert, macht sie relativ unempfindlich gegenüber der Unterbrecherwerbung.

Uschi Glas als Supermedium

Das Fernsehen selbst nutzte die neuerliche Popularität der Hauptdarstellerin Uschi Glas auch in eigener Sache. RTL zeigte Ende 1994 noch einmal den 1993 mit der Schauspielerin produzierten Film „Tierärztin Christine“, Uschi Glas wurde beliebter Gast in Talkshows. Außerdem erschien ein „Buch zur Serie“, natürlich mit Fotos der Protagonistin auf dem Einband. Aber Uschi Glas wirkt nicht nur in der Serie und deren unmittelbarem Umfeld umsatzfördernd. Boulevardblätter hieven sie auf ihre Titelseiten und füllen Spalten mit ihrem Privatleben, mit Familienfotos und ihrem Rechtsstreit mit den DrehbuchautorInnen. In Artikeln wiederum wird auf ihr Buch mit Schönheits- und Fitneßtips verwiesen. Die Bunte hat in Uschi Glas gar die neue Mutter der Nation entdeckt. Im November 1994 erscheint die Schauspielerin in eine deutsche Flagge gehüllt auf dem Titelblatt: „Uschi national. Warum die Deutschen sie so lieben. Die Rückkehr der Mutter- Frau“. Eine Umfrage des Forsa-Instituts schließlich kommt zu dem Ergebnis, daß 55 Prozent der Deutschen unter 30 Jahren sich Uschi Glas als Mutter wünschen.

So hat sich die Serie also für alle Beteiligten gelohnt: für die Werbewirtschaft, die Medien und nicht zuletzt für Uschi Glas selbst.

Die Autorin ist Soziologin am Institut Frau und Gesellschaft. Ihr (stark gekürzter) Text erscheint demnächst vollständig in: Claudia Mast (Hg.): „Markt Macht Medien. Publizistik im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und ökonomischen Zielen“. Universitätsverlag Konstanz