Für die Menschenwürde in die Fremde

Die Japanerin Yoko Kitayama hatte hochfliegende Ambitionen. Dann emigrierte sie vor dem Sexismus in der Arbeitswelt ihrer Heimat entnervt nach Deutschland. Das ist kein Einzelfall  ■ Von Barbara Geschwinde

Aachen (taz) – Ihre Kleidung ist modisch – Jeans, Sweat-Shirt, braune Schuhe – und bei ihren Kommilitonen an der Technischen Hochschule Aachen gilt sie als fleißige Studentin: Yoko Kitayama aus Japan. In Tokio hat sie nach Abschluß ihres Chemiestudiums im Forschungslabor eines Halbleiterunternehmens gearbeitet – als einzige Frau unter Männern. Dann aber gab sie ihre Karriere auf und ging nach Deutschland.

Laut Gesetz sind Frauen in der japanischen Arbeitswelt gleichberechtigt. Aber Yoko Kitayama lernte das kennen, was in Japan Berufsalltag ist: Grundsätzlich gibt es zwei Karrieren. Eine speziell für Frauen mit Oberschul- und College-Abschluß, die für Routine-Arbeiten und einfache Tätigkeiten eingestellt werden. Diese „Laufbahn“ ist eigentlich eine Kriechspur. Für den Führungsnachwuchs mit Hochschulabschluß, also für Leute wie Yoko Kitayama, gibt es eine Laufbahn mit betrieblicher Weiterbildung und Überstunden – in der finden sich aber nur zwischen drei und fünf Prozent Frauen wieder. Um zu ihnen gehören zu dürfen, versuchte Yoko Kitayama immer wieder mit ihrem Chef zu reden. Der jedoch brachte sie durch den Vorwurf, sie sei „so mäkelig wie seine Frau“, zum Schweigen.

Von ihren männlichen Kollegen hörte Kitayama immer wieder: „Wieso tragen Sie keinen Rock? Ich möchte Ihre Beine sehen.“ Auch die weiblichen Angestellten verlangten von ihr, sich unterzuordnen. Obwohl sie als Akademikerin in einer ganz anderen Abteilung arbeitete als die anderen Frauen, sollte sie das Geschirr der Verwaltung spülen oder Kunden Kaffee servieren.

Vor vier Jahren schließlich verließ Yoko Kitayama enttäuscht Japan und erteilte damit dem Kampf um ihre Rechte eine Absage. In einem fremden Land wollte sie von vorne anfangen. „Hier in Deutschland kann ich ich selbst sein, ohne mich ständig Verhaltensregeln unterwerfen zu müssen“, sagt sie. „Ich kann meine Meinung frei äußern und diskutieren, soweit es meine Sprachkenntnisse zulassen. In Japan lernen wir schon in der Schule, uns unterzuordnen und zu allem Ja zu sagen.“

„Eine Frau betrinkt sich nicht und ist immer sanft“

Die meisten Japanerinnen wollen während ihrer Studienzeit für einen begrenzten Zeitraum in einem fremden Land leben, um eine fremde Sprache zu erlernen. Wenn sie nach Japan zurückkehren, stellen einige von ihnen überrascht fest, daß sie dort nicht mehr leben können. Sie haben sich an die Freiheiten gewöhnt, die Frauen im Westen genießen. Die ständige Kontrolle durch die Umgebung fällt von ihnen ab wie eine Fessel.

„Eine Frau raucht nicht in der Öffentlichkeit; eine Frau betrinkt sich nicht; eine Frau wird niemals wütend und laut; sie ist immer sanft; eine Frau spricht beinahe flüsternd in einer Tonlage, die etwa zwei Oktaven über ihrer eigentlichen Stimmlage liegt; eine Frau soll... – Ich konnte das alles einfach nicht mehr ertragen“, sagt Yoko Kitayama. Der Abschied fiel nicht leicht. Bevor Yoko nach Deutschland ging, drohte ihre Mutter mit Selbstmord, falls sie einen Deutschen heiratet. Inzwischen ist Yoko mit einem Deutschen verlobt. Die Mutter hat das schließlich akzeptiert.

„Wenn die japanische ,Firmengesellschaft‘ weiterhin die Frauen ausschließt, werden sich immer mehr Japanerinnen einen Job außerhalb Japans suchen“, schreibt die Japanerin Eriko Satô im Japan Quarterly. „So ironisch es auch klingt – auf diese Weise wird Japan seine Internationalisierung erreichen, indem die Frauen das Land verlassen, um im Ausland zu arbeiten.“