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„Ich rate zur Verfassungsklage“

■ SPD gegen SPD: Richter und Landesvorstandsmitglied Heinz Uthmann attackiert Innensenator Wrocklage: Verschärftes Polizeirecht gefährlich, Richterschelte überflüssig: „Wer politisch stark ist, hat das nicht nötig.“

Legalize Platzverweis: Innensenator Wrocklage hat im Februar den anderen Behörden einen Gesetzentwurf vorgelegt, um seine St.-Georg-Politik vor Hamburgs Richtern zu schützen. Ein Teil der Haftrichter lehnte es nämlich bisher ab, Ingewahrsamnahmen für Platzverweis-Unwillige zu genehmigen. Doch nicht nur Justiz- und Sozialbehörde wollen bei der Gesetzesverschärfung nicht mitspielen. Auch aus der eigenen Partei weht Wrocklage heftiger Gegenwind ins Gesicht. Die taz sprach mit dem Richter und SPD-Landesvorstandsmitglied Heinz Uthmann.

taz: Ihr Parteikollege, Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD), will das Polizeirecht verschärfen. Sie packt dabei das kalte Grausen?

Heinz Uthmann: Der Gesetzesentwurf ist entweder überflüssig oder verfolgt ganz andere Ziele als nur die Absicherung des Konzepts zur Drogenbekämpfung in St. Georg. In Wahrheit geht es um eine Verschärfung im größeren Rahmen: Brandenburg verschärft das Polizeigesetz, in Niedersachsen läßt sich Ministerpräsident Gerhard Schröder in wirrer Reaktion auf die Chaos-Tage ein verschärftes Polizeigesetz basteln, und auch die Vorschläge Wrocklages gehen in dieselbe Richtung.

Worin besteht denn die Gefahr?

Ich meine, daß hier Grenzen überschritten werden, und die liberale Substanz des Rechtsstaats bröselt. Bisher haben Platzverweise einen ausdrücklich vorübergehenden Charakter. Jetzt sollen Aufenthaltsverbote auf sechs Monate ausgeweitet werden. Und das ist mit Artikel 11 des Grundgesetzes, dem Grundrecht auf Freizügigkeit, nicht mehr zu vereinbaren.

Dann wäre also eine Verfassungsklage möglich?

Ich würde dringend raten, das in Karlsruhe überprüfen zu lassen. In der Kontroverse zwischen Polizeipraktikern und Polizeirechtlern Anfang der 80er Jahre war unstrittig, daß Platzverweise – als ohnehin problematisches Instrument – verfassungsrechtlich nur dann Bestand haben, wenn es punktuelle, zeitlich begrenzte Maßnahmen sind.

Wrocklage unterscheidet aber zwischen Platzverweisen für vier Stunden und Gebietsverboten für sechs Monate.

Gebietsverbote sind ja nur Platzverweise auf Vorrat. Zur Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes dient die Ingewahrsamnahme. So ist im Grunde durch die kalte Küche ein Mehrfacharrest möglich. Weiter muß man sehen, daß nach dem Gesetzesentwurf der Amtsrichter die Rechtmäßigkeit des Platzverweises nicht mehr überprüfen darf. Das heißt, man bekommt einerseits eine Drehtür-Justiz, und auf der anderen Seite wird der Richter zum Fließbandarbeiter degradiert. Das ist mit den Rechtsgedanken des Grundgesetzes nicht vereinbar.

Polizei und Innensenator sagen aber, ohne eine klare Rechtslage und einen „Rechtsschutz für den Rechtsstaat“ kann in St. Georg nicht wirksam gearbeitet werden. Ist das nebensächlich?

Das halte ich für eine unangemessene Übertreibung. Das St.-Georg-Konzept steht und fällt damit, daß die Polizei ausreichend ausgerüstet ist, personell vor Ort Präsenz zeigt und effektiv arbeitet. Das Konzept scheitert sicherlich nicht daran, daß zwei Richter nicht Gewehr bei Fuß stehen.

Überschreitet Wrocklage seine Kompetenzen, wenn er die Richterschaft angreift?

Richter urteilen unterschiedlich. Das hat man zur Kenntis zu nehmen und notfalls im Instanzenweg dagegen klagen. Die Richterschelte ist völlig überflüssig und nur ein Vorwand. Wer politisch stark ist, hat das nicht nötig.

Wie sollte der Konflikt um die unterschiedlichen Rechtsauffassungen denn gelöst werden?

Der Streit sollte kultiviert ausgetragen werden. St. Georg darf nicht dafür herhalten, daß es zu einem verschärften Polizeirecht kommt, das dann zu einer ganz anderen Zeit, an ganz anderen Orten und mit ganz anderen Beteiligten in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eingesetzt wird. Gesetzlich zuzulassen, daß auch die Behörde in problematischen Fällen gerichtlich klagen kann, ist unproblematisch. Würde sich Wrocklage auf diesen einen Punkt konzentrieren, könnte man das ganze Gesetz radikal auf zwei Sätze zusammenstreichen.

Ist Wrocklage zu kurzsichtig, um über den Tellerrand Drogenszene zu gucken?

Nein, es ist in der Logik seines Handelns begründet. Er macht einen politischen Fehler. Ich würde ihm empfehlen, sich mehr um die Räuber-und-Gendarm-Spiele seines CDU-Polizeipräsidenten zu kümmern und die Herumwerkelei an Paragraphen zu lassen.

Haben Sie vergessen, daß auch Sie auf dem letzten Parteitag zur Inneren Sicherheit Wrocklages St.-Georg-Politik abgesegnet haben?

Es ging darum, das Handlungskonzept abzusichern. Ich stehe auch heute noch dazu, kein Apostel der Aktion „weiche Welle“ zu sein. Platzverweise sind zulässig. Aber unser Beschluß kann kein Blankoscheck für die Verschärfung des Polizeigesetzes sein.

Will Wrocklage seinem Apparat beweisen, daß er kein Weichling ist?

Die Psychologie des Innensenators interessiert mich nicht. Das müssen Sie ihn schon selber fragen.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Ich hoffe, daß Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem, der Bedenken hat, nicht umfällt.

Ansonsten gehe ich davon aus, daß es nach den Ferien ein Gespräch geben wird zwischen dem Innensenator und den innenpolitisch Interessierten des Landesvorstands. Ich hoffe, daß dieser Gesetzesentwurf in der Bürgerschaftsfraktion keine Mehrheit finden wird. Fragen: Silke Mertins

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