piwik no script img

Heitere Belagerung

■ Prachtvoll, prätentiös: Im Übersee-Museum mißt sich neues Design an alten Kultobjekten / „Design im Wandel“

Design liebt es, sich an andere Medien zu schmiegen. Die Liebe zur Architektur bescherte uns Kleiderschränke, die in Form postmoderner Hochhäuser in unseren Schlafzimmern prangen. Von der Literatur lieh man sich den Begriff des „erzählerischen Elements“. Daß Design seine Dekorationsstoffe auch gern mal bei der Kunst borgt, demonstierte Jean Nouvel 1995 mit seiner Designschau im Neuen Museum Weserburg. Sein Kollege Mendini setzt den Leihverkehr jetzt auf anderem Terrain fort. Neues Design und alte Kultobjekte stehen sich bei einer Ausstellung gegenüber, die Mendini derzeit im Bremer Überseemuseum inszeniert – ein Völker-, Handels- und Naturkundliches Institut. Eine hübsche Idee, daß zwischen Korkenziehern und Schnitzmasken, zwischen Design und afrikanischer Volkskunst, eine Affinität bestehen könnte. „Produkte, Fetische, Rituale“, heißt es verheißungsvoll im Untertitel der Prachtschau. Doch der Anspruch erweist sich als leere Phrase.

Denn mit der Ausdruckskraft ritueller Masken, Figuren und Schmuckstücke kann sich kaum eine der rund 150 Designerwaren messen. Die von Mendini ausgewählten Beispiele aktuellen Designs besitzen teils bestechende Qualitäten – nur keine rituellen. Folkloristische Dekors und figürliche Formen prägen viele der Teekännchen, Teppiche, Lampen, Tische und Stühle. Doch wer in einer feierlich glänzenden Alessi-Kanne eine tiefere Beziehung zu afrikanischen oder polynesischen Traditionen sucht, der sucht vergeblich: Alles bleibt reizend oberflächlich.

Was Mendini nicht daran hindert, das Gegenteil zu behaupten. Einem ganzen Feuerwerk an gewichtigen Phrasen sieht sich das Publikum bereits in der Eingangshalle des Hauses ausgesetzt. Auf einer großen Schrifttafel steht dort zu lesen, was Mendini als Konzept seiner Schau begreift: „Design als Odyssee – Grundprinzip: Die Beliebigkeit von Sprachen; Grundhaltung: zwischen Labyrinth und Kaleidoskop“. Und so kommt's dann auch.

Ganz nach Belieben hat der Meister bunte Polyesterstühle neben Kanus aus Polynesien verfrachtet; einer Osiris-Statuette vom Nil stellt er eine Kollektion quietschbunter Spieglein aus der Werkstatt eines italenischen Meisters gegenüber. Gelegentlich kommt es auch zu Zufallsbekanntschaften. Das Bremer Museum verfügt über eine kleine Sahara-Abteilung. Den dort nachgebildeten Nomadenzelten ist nun ein gleichfalls zeltartiges Möbel zur Seite gestellt: Der Tscheche Vladimir Ambroz stellt hier seinen neuen Sessel „Ultralight“ aus, eine luftig-leichte Konstruktion aus weißem Segeltuch, Seilen und Naturholzstäben. Ein klug austariertes Kunststück, das die Spann- und Tragkräfte transparent macht, im wörtlichen Sinn, und dabei große Eleganz beweist. Was davon tatsächlich den Künsten der Nomaden geschuldet ist, bleibt freilich Spekulation – wie so vieles in dieser Schau.

Es bleibt wohl Mendinis Geheimnis, was figürliche Tischleuchten für die abendländische Tischgesellschaft mit kunstvoll geschnitzten, afrikanischen Kultobjekten gemeinsam haben. Ein zeremonieller Reislöffel von der Elfenbeinküste gehört zu den Prachtstücken der Dauerausstellung des Bremer Museums. Den Griff des riesenhaften Löffels schmückt eine Maske, fein ausmodelliert, sauber poliert. Ein rituelles Würdezeichen – nicht bloß lustiger Zierrat. Solchen liefern hingegen die Design-Teller und -Töpfe in der Nachbarschaft: Ihre bildhaften Applikationen, das wird in dieser Schau deutlich, sind wirklich nur Masken; schmucke Dekors, nichts dahinter – schon gar kein kultischer oder ritueller Wert. Was bleibt, ist allenfalls ein ritueller Look – sowas nennt man, analog zu „Ethno-Food“ und „Weltmusik“ – wohl „Ethno-Design“.

Es ist bezeichnend, daß einige der gelungensten Stücke dieser Auswahl aus Afrika stammen. Der Ghanaer Kane Kwei hat sich auf Designer-Särge spezialisiert. Bunte Holzkisten in stilisierten Tier- und Pflanzenformen, sämtlich Unikate, handgeschnitzt und festlich bunt bemalt. Eine große, hölzerne Samenkapsel für den verschiedenen Gutsbesitzer; für den toten Stammesfürsten eine riesenhafte Adlerfigur, in der er sein Haupt zur Ruhe betten kann. Das ist mehr als nur plakativ: Hier funktioniert der Bezug zu den kulturellen Wurzeln wirklich, und hier ist der Gebrauchtswert auch gleichzeitig ein ritueller Wert. Da kann man schon neidisch werden, wenn dann um die Ecke der sargförmige Kühlschrank „Oz“ steht, ein unsäglich cleveres Designstück von Roberto Pezetta. Bildkräftig, bildschön – und sinnlos.

So borgt sich der europäische Designer allerlei aus anderen Kulturkreisen, wenn's nur pittoresk ist und sich gut verkauft. Spannend wirken dagegen die Versuche, das Material der eigenen Kultur zu bearbeiten. Und zwar nicht in Form antikisierender Zitate, die auf die vergangene Größe des Abendlands verweisen – man erinnert sich schmerzlich an die Schaumstoffsessel in Form römischer Kapitelle, die Anfang der 70er den Aufbruch des italienischen Designs markierten. Heute scheint der Blick auf die eigene Ethnografie weniger verklärt: Die deutsche Designgruppe Bär & Knell hat den Abfall als Material entdeckt, als Stoff, der im hier Überfluß vorhanden und prägend für unseren Alltag ist. Aus recyceltem Kunststoff formen sie, in kleinen Serien, Sessel und Bänke. Stücke aus einem Guß, deren buntgescheckte Plastikhaut zugleich das tragende Gerüst bildet – elegante Sitzmöbel, die das Zeug zum Kultobjekt besitzen.

Womit der eigentliche Sinn der Schau beschrieben wäre. Denn Spektakel wie dieses dienen nicht zuletzt dazu, die kultische Verehrung des zeitgenössischen Designs zu mehren. Mit Erfolg: Die Designer-Särge von Meister Kwei aus Ghana, Ironie der Geschichte, gelten in Europa längst als begehrte, teuer gehandelte Sammlerstücke. Thomas Wolff

„Design im Wandel – Produkte, Fetische, Rituale“, bis 2. Juni im Überseemuseum; das „Intenationale Design-Jahrbuch“ ist in der Ausstellung für 65 Mark erhältlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen