: Musike drin
■ Seehausen: neue Bioklärstufe für Bremer Fäkalstrom / Runter: der Stickstoffanteil – rauf: die Abwassergebühren
Musik und Scheiße: ein klassisches Feuilletonthema. Gestern aber wurde der heikle Zusammenhang von einer Firma hergestellt, die sich zumindest mit dem bestens auskennt, was bei Bremern hinten rauskommt: Die Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) weihten in Anwesenheit von 80 Baufachleuten, Entsorgungsmanagern und Lokalpolitikern eine gigantische Klärhallenanlage ein - mit klassischer Musik. Schuberts „Ich hört' ein Bächlein rauschen“ (!), interpretiert von Johannes Luik und Andreas Lieberg, hallte durch die neuen Räumlichkeiten der Seehauser Kläranlage. Ab Sommer schwappt hier die Bremer Fäkalsuppe.
Ein Bau, groß wie die Stadthalle, ist im Schatten der Faultürme entstanden. Eigentlich handelt es sich um mehrere überdimensionale Klärbecken mit Quirl. Nur eben überirdisch und mit Dach. Hier wird demnächst biologische Klärung stattfinden: Mikroorganismen werden sich dann den Nordsee-belastenden Stickstoff-Verbindungen im Abwasser widmen und sie aufknacken. Am Ende kommt der gasförmiger Stickstoff heraus - der Hauptbestandteil unserer Atemluft.
Umweltsenatorin Tine Wischer machte der Öffentlichkeit folgende Rechnung auf: Dünnsäureverklapper und Bohrturmversenker anzugreifen sei leicht - doch „sehr viel schlimmer ist die reguläre Verschmutzung durch jeden einzelnen Bürger“. Dieser Dreck komme „unspektakulär, aber kontinuierlich“. Wer ihn nicht mehr in die Nordsee schwappen lassen will bzw. wer sich an die Vorgaben der Nordseeschutz-Konferenz halten will, muß eben blechen.
Der Ausbau der Kläranlage Seehausen kostet 190 Millionen. Dafür darf man davon ausgehen, daß die Stickstoff-Fracht, die jährlich Seehausen verläßt, von 2.500 Tonnen auf 900 Tonnen reduziert wird. Bildlich gesprochen: Wir ersparen der Weser täglich 240 Fuhren Rindermist. Kehrseite: gepfefferte Abwassergebühren. Zwischen 1995 und 1997 steigen sie in Bremen um satte 30 Prozent.
Bei Kaffee und Fischhäppchen, in Reichweite eines der mannsgroßen Jauchequirle, überbrachte BEB-Chef Dieter Voigt noch eine weitere Frohbotschaft: „Geruchsbelästigungen aus der neuen Anlage wird es nicht mehr geben.“ Da zuckte Frau Tiemann zusammen. Sie wohnt seit 28 Jahren in Seehausen und kennt infernalische Gerüche: „Bei Ostwind unbeschreiblich!“ Sie hofft zwar, glaubt aber gar nichts. Den Seehausern war seinertzeit beim Bau der Kläranlage versprochen worden: „Das Endprodukt ist trinkbar“!
Frau Tiemann rechnet damit, daß auch diese Anlage mal zu klein sein wird und Seehausen noch mehr Fäkalrecycling bekommt. Schon heute sind Umlandgemeinden wie Stuhr, Weyhe, Lilienthal und Teile von Achim und Oyten am Bremer Abwassernetz. Um weitere Kunden wie Berne kämpft man noch. Denn je teurer die Anlagen werden, desto intensiver sucht das Wirtschaftsunternehmen BEB nach Umlandabwasser. Im Geschäft, aus Scheiße Geld zu machen, ist reichlich Musike drin. BuS
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