Wand und Boden
: Das Virus heißt political correctness

■ Kunst in Berlin jetzt: Liam Gillick, Thorsten Goldberg, Thomas Hirschhorn

In einer großen Stadt, da verspätet man sich leicht mal zu einer Eröffnung, zum Kino oder zum Abendessen. Auch Liam Gillicks „Erasmus is Late“. In der Likörfabrik, wo die Kölner Galerie Schipper & Krome zu ihrem Sprung nach Berlin ansetzt. Genaugenommen verspätet sich Erasmus, der Bruder von Charles Darwin, zu einen Abendessen mit Robert McNamara, dem Verteidigungsminister Kennedys, und Masaru Ibuka, dem Mitbegründer von Sony. Die Nachlässigkeit ist nicht weiter tragisch, denn das Essen zieht sich von 1810 bis 1997 sowieso etwas in die Länge. Das läßt sich in Gillicks kleinem gelben Buch nachlesen, das den obengenannten Titel trägt.

Schipper & Krome sind durch die Mailbox „The Thing“ als Netz-Pioniere bekannt. Aber das sollte man nicht so ernst nehmen. Drei http://-Adressen werden auf dem Faltblatt zur Ausstellung „Erasmus is Late in Berlin ,versus‘ The What if Scenario“ als weitere Informationsmöglichkeiten genannt. Zu Liam Gillick sagt http://www.artworks.de unter der Rubrik „artists“ trotzdem, „not found“. Zur Kunst im Netz gilt weithin und weiterhin: Damit macht man sich wichtig, aber man nimmt es nicht wichtig. Gillicks Szenario zeigt im übrigen einen in die Ecke gestellten Aluminiumbaldachin mit bunten Plexiglasscheiben, während an einem Haken in der Wand op-artig gemusterte Papierquadrate, Stoffmusterentwürfe, baumeln. Gillick will auf das Industriedesign anspielen, aber mit Kontextualisierung ist bei ihm nicht viel gewonnen. Das wurde schon 1990 in seiner Zusammenarbeit an der „Documents“-Serie mit Henry Bond deutlich. Kunst, Journalismus, Sozialarbeit, philosophische Liebe zur Wahrheit oder kritische Theorie – alles war für die Fotoarbeit möglicherweise ebenso zutreffend wie falsch. Jetzt ist die Idee eines Essens von lauter zweiten, „parallelen“ Figuren, wie Gillick sagt, im Spiel der Macht möglicherweise nicht so brisant wie angenommen. Aber das kleine gelbe Buch ist gut geschrieben. Und seine altmodischen Illustrationen – die Gillicks Mutter beisteuerte – harmonieren perfekt mit dem Tonfall des Erzählers. Da scheint es angebracht, der Sache die nötige mißtrauische Aufmerksamkeit zu schenken.

Bis 30.3., Do., Fr. 12–19, Sa. 11–14 Uhr, Auguststr. 91

Es scheinen die X-Rays der Spielzeuge der Generation X zu sein, die Thorsten Goldberg in der Galerie Wohnmaschine an die Wände gehängt hat. So blaß, durchscheinend und diffus wirken die „Portraits“ des Panasonic Easa-Phone KX-T 9000 BSR, des Sony RM-D 250, des TVA Remote Controller, des Actron B und anderer „Remotes“ im edlen Passepartout. Aber Goldberg will das geheime Innenleben unserer Kommunikationsmaschinen gar nicht aufdecken, das scheint nur so. Die Strahlen, die Körper durchdringen, hatte ihr Entdecker Wilhelm Conrad Röntgen 1895 „X-Strahlen“ genannt. Sie bannen den Körper im Zustand seiner Durchleuchtung auf die Fotoplatte. Das bringt eine gewisse Aufklärung in den Zusammenhang von „Körper & Betrug“, wie der Titel einer einjährigen Ausstellungsreihe bei Friedrich Loock lautet. Sie hat wiederum Aufklärung über den aktuellen Gebrauch des Mediums Fotografie zum Ziel.

Thorsten Goldberg baut auf die Oberfläche der Handys, Fernbedienungen und Telefone, die er ästhetisiert. Der Bildentwicklungsprozeß scheint bei ihm steckengeblieben, unfertig, die Hardware tendiert visuell ins Softe. So könnte man sie dem Körper fast schon implantieren. Nicholas Negroponte (MIT Media Lab) träumt davon. Thorsten Goldberg macht die Träume schön.

Bis 15.4., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Tucholskystr. 36

Schön ist das Environment, das Thomas Hirschhorn bei Arndt& Partner aufgebaut hat, nicht zu nennen. Aber es ist raumgreifend beeindruckend und von bizarrem Charme. Der Besucher kann sich seinen Weg zwischen den schnell hingezimmerten Vitrinen, den provisorischen Ausstellungstischen, den abgestuften Kartonsockeln und den großartig hingepuzzelten Isolierzellen nur behutsam bahnen, zumal er sich ständig in dicken Alufolienschlingen zu verfangen droht. Die wildwuchernde Ausstellungsarchitektur dient der Präsentation wie der Klassifikation, der Selektion, der Isolation oder Kombination von Pappstücken, die, mit Bildern beklebt, mit Kugelschreiber bemalt oder beschriftet, immer in durchsichtige Plastikfolie eingepackt sind. Denn Thomas Hirschhorn zeigt eine „Virus-Ausstellung“. Genetisches Material, das sich unkontrollierbar vermehrt, indem es sich in geeignete Wirtszellen einnistet, die es auf die Produktion neuer Viren umprogrammiert.

Tatsächlich trotz aller Sicherheitsverpackung scheinen die Pappstücke, auf die spiralige Muster skizziert sind, die eindeutig an Bakterien- oder Virenformen erinnern, merkwürdige Mutanten gezeugt zu haben. Zeitungsausschnitte mit Titelzeilen wie „Aussiedler im Eros Center“ kleben auf anderen Pappen, und auf weiteren Kartons preisen tränenreiche Modelschönheiten Dior-Kosmetik an. Unter Matisse-Kunstpostkarten hat Hirschhorn „das ist schön“ gekritzelt, „aber es gibt immer mehr Arbeitslosigkeit“, und der heilige Mondrian muß es erdulden, daß neben seiner Komposition „das ist schön“ geschrieben steht, „aber es gibt die Todestrafe in den USA“. Das Virus muß political correctness heißen! Was anderes soll dieses bornierte Gegeneinanderausspielen von Ästhetik und Politik bedeuten?! Nun ja, man sieht die Postkarte mehr als Mondrian: den Einspruch von den Resten her.

Bis 14. 4., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Hackesche Höfe, Sophienstr. 6 Brigitte Werneburg