Trau keinem über 30

■ Die Bundesländer haben sich über die Konzentrations- kontrolle geeinigt: 30 Prozent TV-Marktanteil erlaubt

Es begann mit viel Eigenlob. Man habe „eine Aufgabe erfüllt, die als unlösbar eingestuft wurde“, sagte Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), und Kollege Kurt Biedenkopf (CDU) korrigierte nur leicht: Jedenfalls habe ihnen die Einigung „niemand zugetraut“. Als die Ministerpräsidenten der Länder am Donnerstag nachmittag das Ergebnis ihres Berliner „Kamingesprächs“ bekanntgaben, fühlten sich alle als Sieger – oder taten zumindest so. Im künftigen Rundfunkstaatsvertrag werden zwei grundlegende Beschränkungen entfallen: Bislang durfte (theoretisch) kein Konzern an mehr als zwei TV-Vollprogrammen maßgeblich beteiligt sein; und niemand durfte mehr als 49,9 Prozent eines Senders besitzen. In Zukunft gibt es nur noch eine Grenze: Die „vorherrschende Meinungsmacht“ eines Konzerns soll ausgeschlossen werden. Und die wird angenommen, sobald Bertelsmann oder Kirch (andere kommen ohnehin nicht in Frage) 30 Prozent des Zuschauermarkts erreicht haben – alle Sender eingeschlossen, an denen sie mit mindestens zehn Prozent beteiligt sind. Bis heute kommt keiner der Konkurrenten auf mehr als 25 Prozent. Und je mehr neue Spartenprogramme auf den Markt drängen, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß jemand sich der 30-Prozent-Marke nähert.

Allerdings haben einige SPD- regierte Länder, allen voran Schleswig-Holstein, mehrere Korrekturen dieses Modells durchgesetzt, das RTL-Chef Helmut Thoma mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 180 km/h auf der Autobahn verglichen hat. Die 30 Prozent sollen nämlich keine starre Grenze bilden. Es soll auch schon eingegriffen werden bei weniger Prozenten, wenn sich eine „vorherrschende Meinungsmacht“ insgesamt ergibt: zum Beispiel durch Leo Kirchs Aktivitäten bei den Filmrechten und im Axel- Springer-Verlag oder durch Bertelsmanns Stellung auf dem Zeitschriften- und dem Online-Markt.

Bis zuletzt gab es unter den Ministerpräsidenten Streit um die Institution, die all das kontrollieren soll. Zwar hatte man sich schon im Herbst vorläufig geeinigt, daß es eine „Kommission zur Ermittlung der Konzentration“ (KEK) geben sollte, bestehend aus fünf bis sieben Experten. Doch Bayerns Edmund Stoiber wollte sie zum Hilfsorgan der jeweiligen Landesmedienanstalt machen, während die SPD-Länder ihr mehr Gewicht durch rechtliche Selbständigkeit geben wollten. Formal setzte sich schließlich Stoiber durch: Die KEK wird keine eigenen Lizenzbescheide ausstellen können. Doch im Gegenzug erreichten die SPD-Länder eine durchaus starke Stellung der KEK: Die Medienkonzerne müssen gegenüber der Medienaufsicht die Bezugsquellen ihrer Programme offenlegen, und die KEK erhält Ermittlungsbefugnisse, die der einer Kartellbehörde ähneln.

Besonders Schleswig-Holstein, das sich schon immer für die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Vater Leo Kirch (Sat.1, DSF) und Sohn Thomas Kirch (Pro 7) interessierte, drängte auf eine Angehörigenklausel im Staatsvertrag. Tatsächlich wird jetzt dort aufgenommen, daß zu den Tatbeständen, die nach den „Grundsätzen des Wirtschafts- und Steuerrechts“ geprüft werden, „auch bestehende Angehörigenverhältnisse“ gehören.

Die Mitglieder der KEK werden von der Ministerpräsidentenkonferenz benannt, sollen aber unabhängig wie das Kartellamt urteilen. Sagen sie zu einem neuen Fernsehsender nein, dann hat eine Medienanstalt, die aus Standortgründen die Lizenz gern erteilen möchte, nur eine Möglichkeit: Sie muß eine große Mehrheit der 15 Medienanstalten davon überzeugen. Die Hürde wurde bei den letzten Verhandlungen noch einmal heraufgesetzt: von zwei Dritteln auf drei Viertel.

Die Rundfunkgebühren waren auf dieser Ministerpräsidententagung kein Thema. Sie sollen erst im Juni endgültig festgelegt werden. Einen Formelkompromiß fand man aber schon mal beim Streit um die Zukunft des ARD-Finanzausgleichs. Nachdem die Unionsländer eine gesonderte Kündigungsmöglichkeit für ihn durchgesetzt hatten, um leichter auf eine Abschaffung der kleinsten Sendeanstalten drängen zu können, bekommen die betroffenen Länder ein Gegendruckmittel: Sollten Stoiber und Biedenkopf die Finanzierung von Radio Bremen und dem Saarländischen Rundfunk kündigen, können deren Länder gleichzeitig aus den anderen rundfunkrechtlichen Staatsverträgen aussteigen, zum Beispiel dem, der das ZDF zusammenhält. Theoretisch könnten sie dann die ZDF- Gebühren ihrer Bevölkerung für ihren ARD-Landessender benutzen. Jedenfalls kurzfristig – auf Dauer würde allerdings das System einer bundeseinheitlichen Rundfunkgebühr zusammenbrechen. Michael Rediske

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