Der erotische Alltag

Friedhof der Kuscheltiere – Claes Oldenburgs Objekte in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle  ■ Von Harald Fricke

Gern hätte Claes Oldenburg die üppigen Grünflächen an der A 9-Abfahrt Bonn mit Skulpturen verstellt, doch dem Magistrat waren die überdimensionalen Pop- art-Objekte des US-amerikanischen Bildhauers suspekt. Statt Billardkugeln in Münster, den herausstakenden Fahrradgräten im Boden des Pariser Parc de la Villette oder der Kasseler documenta-Spitzhacke liegt nun ein „Houseball“ aus Stahl vor der sandgelben Bundeskunsthalle, die selbst einem Bauklotz ähnelt. Allerlei Kunststoffmöbel sind mit brauner Kordel an den Ball geschnürt, Kinder tollen daran herum, eine junge Frau hält sich für ein Foto grinsend an einem Stuhlbein fest. Oldenburgs Museum ist ein Abenteuerspielplatz, das ist ihm heute Verwirrung genug: Als er 1969 einen orangen „Lipstick“ auf Panzerketten montierte und vor die Yale-Universität in New Haven baute, hatte er den Vietnamkrieg im Visier, Marilyn Monroe im Kopf und eine Schar revoltierender Studenten auf seiner Seite. Mittlerweile richten sich die Großraumprojekte des 67jährigen, die er seit 1977 mit seiner Lebensgefährtin Coosje van Bruggen realisiert, nach den Standards der Kunst am Bau. Es ist bunt, es ist volksnah, und es bleibt – anders als die Scherpen von Christo und Jeanne-Claude.

Oldenburg mag es, wenn man seine Objekte benutzen möchte. In der eng gefüllten Haupthalle seiner „Anthologie“ aus 40 Künstlerjahren haben Wärter große Mühe, den Besuchern das Berühren der Plastiken zu verbieten. Allzuleicht greift die Hand nach dem in Scheiben geschnittenen „Rosinenbrot“, dessen Oberfläche unter dem Deckenlicht glänzt, als wäre die Rinde aus Lack und Leder. Oder jemand zupft an einem aus Stoff vernähten „Riesenventilator“, der schlaff an der Wand herabbaumelt. Wo der Gegenstand in seiner Auflösung kaum zu erkennen ist, hilft die Beschriftung weiter – „cap“ steht auf einem grauen Kissen, „label“ am losen Seitenbehang und „ketchup“ über den Rest des rotgefärbten Beutels geschrieben. Das macht den Umgang mit den Dingen noch leichter. Es ist, als würden sie alle rufen: Nimm mich! Doch der Verstand sagt: Vorsicht, Kunst.

Anfangs konnte sich Oldenburg selbst nicht entscheiden, wessen Spiel er damit spielen wollte. Als der 1929 geborene New Yorker mit schwedischem Paß 1960 in der Judson Gallery ausstellte, war er in Stoffetzen gewickelt und führte eine Performance auf, die zwischen Masken-Dada, Mummenschanz und Straßentheater pendelte. Lose über den Raum verteilt hingen übertünchte Pappen von der Decke. „The Street“ war als Streifzug durch die Armenviertel der Stadt konzipiert, die dazugehörigen „Ray Gun“-Objekte mußte Oldenburg vom Aspalt kratzen. Plattgefahrene Cola-Verschlüsse und verrostete Scharniere, jedes Fundstück war ihm recht, wenn es nur der Rückbindung des „Space Age“ an die Archaik der Steinzeit diente. In Gestus und Material den Müllcollagen der No-Art!-Bewegung mehr als artverwandt, suchte Oldenburg in den frühen Happenings die Auseinandersetzung mit Jackson Pollocks „Action-Paintings“.

Die Etablierung von dessen wildem Expressionismus als Teil der bürgerlichen Kunstgeschichte muß schwer an ihm genagt haben: „Zwei Möglichkeiten, dem Bourgeoisen zu entkommen, sind 1. Aristokratie und 2. Intellekt, wo die Kunst nie besonders gut gedeiht. Ich rede schon wieder, als wollte ich Kunst außerhalb der b. (bourgeoisen) Werte schaffen. Vielleicht ist das nicht machbar, aber wieso sollte ich eigentlich Kunst schaffen wollen – das ist die Vorstellung, die ich loswerden muß.“ (1961)

Mit dem „Bedroom Ensemble“ kommt er dieser obschon fixen Idee vom gestürmten Bild recht nahe. Die Arbeit besteht aus einem vollständig nachgebauten Motelzimmer von 1963, das in Bonn plötzlich still in einer Ecke neben hingesunkenen Schreibmaschinen aus Vinyl und Kunstfell- Eisriegeln auftaucht. Auf einer eckigen Couch liegt leopardengemustert ein Plastikcape, das Bett ist mit einer Zebradecke bezogen, an den Wänden hängen Pollock- Imitate. Das gesamte Interieur wurde aus Materialien nachgebildet, die Oldenburg auch sonst für Skulpturen verwendet, doch weicht es in nichts von der Auslage eines Kaufhauses ab. Der Raum spiegelt die eigene Modernität (Quentin Tarantino wäre entzückt, hier zu drehen) und ist doch ein anderer, den Innenausstatter nach funktionalen Kriterien entworfen haben.

Wo Pop-art ihren Massenappeal aus technischer Brillanz zieht, wirken Oldenburgs Gegenstände sexuell, aufgeladen, fast vulgär. Ein Oberhemd aus modelliertem Gips ist zum Sack angeschwollen, Strumpfhalter schwimmen in brauner Ölfarbe, zwei wunderbar fein zerklüftete Mädchenkleider stechen pink und weiß aus einem Relief hervor. Hülle und Haut lassen sich nirgends unterscheiden. Daß gerade die „Store“-Arbeiten der frühen sechziger Jahre auf weißen Sockeln mit einer Lichtschranke geschützt sind, nimmt der Sache einiges an Reiz.

Wo immer die erotische Besetzung am banalen Alltagsobjekt hervorgezaubert wird, gerät es aus der Form, wird unter dicken Farbmassen verborgen oder grob mit Gipsschichten überdeckt. Bei Oldenburg drängen die Dinge zurück in einen Zustand vor der Produktion, sind im Verfall begriffen und haben sich ein wenig zumindest wieder mit der Natur verbunden – die dunkle Seite des Pop. Und ein Friedhof der Kuscheltiere: Im „Mouse-Museum“ (1972) liegen Hunderte von abgewetzten Spielwaren aus, Plastikküchen für die Puppenstube, pelzige Eisbecher aus Styropor, Sparschwein, Blechauto, Ratzefummel. Irgendwann ist auch ein doppelschwänziger Dildo unter den Erinnerungsstücken. Der kindliche Sammeltrieb hat sich verlagert, die Begierde „geht von einem Objekt zum anderen“, wie er 1961 notiert. Der Fetisch fließt dahin. Mit den Jahren ist auch er zur Ruhe gekommen: Das „Apfelkerngehäuse“ von 1991 steht zwar steil emporgerichtet in der Vorhalle. Aber es hat Pinselspuren und Farbspritzer, wie bei Jackson Pollock.

Claes Oldenburg – Eine Anthologie. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Noch bis zum 12. Mai 1996.

Katalog: im Museum 68 DM