Mahlzeit in der S-Bahn

■ In Berlin versorgen ehemals Arbeitslose Fahrgäste mit Kaffee und Brötchen

Nervös knittert Karin Schröder* den Zettel in ihrer Hand. Sie muß sich vorstellen. Doch kein Ton kommt aus ihr heraus. Die vielen Fahrgäste und die Angst, zu stottern, schlagen ihr auf die Stimme. Als sich die S-Bahntüren schließen, verläßt die 55jährige Frau der Mut: „Ich trau' mich nicht.“ Kollege Harald Köhler* springt ein. „Guten Morgen. Wir sind die neue aktive Fahrgastbetreuung. Wir sorgen für ihr leibliches Wohl und informieren über den Fahrplan.“ Er läßt sich nicht von skeptischen oder belustigten Blicken beirren. Selbstbewußt schiebt der 54jährige seinen „Trolli“ mit Thermoskannen, Brötchen, Cola und Süßigkeiten, durch den Waggon.

Zwei Jahre war Köhler arbeitslos. Karin Schröder erwischte es anderthalb Jahre lang. Seit Anfang März haben beide ihren Job – offiziell nennen sie sich Fahrgastbetreuer bei der S-Bahn. 200 Rotuniformierte bieten auf der Strecke Berlin-Friedrichstraße und Potsdam Kaffee für 1,40 Mark und Brötchen für 1,50 Mark an. Ein neues Projekt. „S-Presso“ wird von der Bundesanstalt für Arbeit und der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen finanziert. In den nächsten zwölf Monaten muß sich entscheiden, ob der Brötchenservice dauerhaft zum Bahnangebot wird. Es wird nicht davon abhängen, wieviel Liter Kaffee Harald Köhler und seine Kollegen in der S-Bahn loswerden. Die Entscheidung wird davon abhängen, ob auch 1997 neun Millionen Mark zur Verfügung stehen.

So mancher Fahrgast hält Köhler und Kollegen zuerst für Schnorrer. Doch wenn die Leute „Brötchen und Kaffee“ hören, horchen sie auf. Noch hapert der Service. Mal fehlt es an Kaffeelöffeln, dann reichen die Brötchen nicht bis zur Endstation. Auch der „Trolli“ zeigt Macken. In den zu niedrigen Ablagen rollen die Getränkedosen hin und her, und die großen Thermoskannen finden kaum Halt. Doch Köhler ist schon froh, daß eine Firma den Wagen konstruieren wollte. Fünfzig wurden angeschrieben. Nur eine zeigte Interesse. „Und dabei rufen alle nach Arbeit“, schüttelt Köhler den Kopf. Seinen neuen 5-Tage-Job zwischen 7.30 und 15.30 Uhr nimmt er ernst. Seine Ansprache an die Fahrgäste ist kurz und freundlich. „Nicht selten kommt es aber vor“, erzählt er, „daß sich Fahrgäste mit uns unterhalten wollen.“ Dann nimmt Köhler die Hand vom Trolli und setzt sich. „Wir reden über Soziales.“

Bei diesem Thema können alle Fahrgastbetreuer mehr als ein Wörtchen mitreden. Sie selbst waren entweder Langzeitarbeitslose oder sogenannte schwer Vermittelbare. Auch die Koordinatorin und die vier Sozialarbeiter, die den Betreuern in Rollenspielen zeigen, wie sie auf Fahrgäste zugehen sollen, standen lange Zeit auf dem sozialen Abstellgleis. Sonst hätten sie die Arbeit nicht bekommen. Bevor Köhler arbeitslos wurde, hat er 30 Jahre lang als Kraftfahrer gearbeitet. Seine Kollegin Karin Schröder montierte 26 Jahre lang Telefone, bis die Firma pleite machte. Ob sie sich als Stationshilfe oder Putzfrau bewarb, jedes Mal wurde sie abgewiesen: „Zu alt.“ Das bekam auch die viel jüngere Ilka Bischoff, die Koordinatorin von „S-Presso“, schon häufig zu hören. Die 36jährige Kellnerin mußte ihren Job wegen einer Berufskrankheit an den Nagel hängen. Fast zwei Jahre war sie arbeitslos.

„Daß in der Gastronomie was Junges und Hübsches gesucht wird, worauf die Gäste fliegen, dafür habe ich Verständnis“, sagt sie. „Aber es ist unwahrscheinlich traurig, aufs Abstellgleis geschoben zu werden.“

*Name geändert

Barbara Bollwahn