Bayrischer Hühnerhaufen

Beim 1:3 im „wunderschönen ländlichen Stadion“ zu Freiburg war die Bayern-Abwehr weder über sich noch über den Gegner im Bilde  ■ Von Ulrich Fuchs

Freiburg (taz) – Selbstverständlich hat der SC Freiburg sein Heimspiel gegen Bayern München gewonnen. Selbstverständlich haben die Südbadener mit einem hinreißenden Fußballspiel die Bayern in der zweiten Hälfte fast vorgeführt, und das 3:1 war am Ende hochverdient. So war es im Jahr eins der südbadischen Erstklassigkeit (3:1), so war es im vergangenen Jahr (5:1), und so war es eben auch am Samstag wieder. Nur warum? Und warum gerade jetzt, wo die Bayern ihren krisligen Rückrundenauftakt mit drei Siegen in Folge überwunden hatten?

Auf der anderen Seite hatte Volker Finke noch am Donnerstag arg bedröppelt aus der Wäsche geguckt. Mannschaftskapitän Uwe Spies hatte sich den gerade verheilten Mittelfuß erneut gebrochen, die halbe Stammelf zwickte und zwackte es. Besetzung der Außenbahn: Fragezeichen. Libero: Fragezeichen. Todt: Fragezeichen. Zeyer: Fragezeichen. Und als gelte es, sich vom tristen Alltag abzulenken, erzählte Freiburgs Übungsleiter von einem schönen Fernseherlebnis: Borussia Dortmund gegen Ajax Amsterdam, oder „Konzept- gegen Heroenfußball“, wie Finke den televisionären Europapokalabend auf den Punkt brachte.

Daß Finke beim Spiel von Ajax das Fußballehrerherz übergeht („Die brauchen keinen Leitwolf, bei denen ist das System der Leitwolf“) hat seinen Grund: Verbissen versucht er selbst seit Jahren das Kollektiv zur bestimmenden Größe des Freiburger Spiels zu erheben. Das klappt nicht immer, aber immer, wenn Bayern München kommt. „Wir haben das Spiel aus ruhenden Situationen heraus verloren“, vermeldete nach Spielschluß Otto Rehhagel – und lieferte damit vielleicht die krasseste taktische Fehleinschätzung der 90 Minuten. Getroffen hatten die Freiburger zwar tatsächlich zweimal nach Standardsituationen, als Harry Decheiver die Freistoßvorlagen von Alain Sutter in den Münchner Kasten köpfelte.

Auffälliger aber war: Je länger die Partei dauerte, um so weniger hatte der träge Bayern-Koloß dem überfallartigen Konterspiel der Südbadener entgegenzusetzen. Oliver Kreuzer, der schnell als Sündenbock ausgemachte Gegenspieler Decheivers, bewies zumindest in der Gesamtspielbeobachtung mehr Überblick als sein Trainer: „Wir waren am Schluß läuferisch nicht mehr auf der Höhe.“ Und Alain Sutter, dessen leicht schwächelnder Auftritt von den überragenden Mittelfeldkollegen Todt und Zeyer aufgefangen wurde, resümierte das Ergebnis des Freiburger Konzeptfußballs so schlicht wie treffend: „Man hat gesehen, wieviel gute Organisation im Fußball ausmacht – das ist seit Jahren die Stärke von Freiburg: Hier ist die Mannschaft der Star.“

Kollege Decheiver hatte dagegen in der Organisation der bajuwarischen Abwehrarbeit befremdliche Schwächen ausgemacht: „Ich glaube, die wußten nicht immer, wer wen decken sollte.“ Die standardisierten bayrischen Dementis, mit denen Vizepräsident Rummenigge, Trainer Rehhagel und Kapitän Matthäus unisono versicherten, daß „die Zuordnung klar“ war, halfen da wenig: Allzuoft funktionierte die Defensive beim schnellen Angriffsspiel der Freiburger nach dem Hühnerhaufenprinzip.

Künftig einfach nicht mehr nach Freiburg fahren, schloß Lothar Matthäus als Alternative dennoch aus: „Die Stimmung in diesem wunderschönen ländlichen Stadion“, zu der seine Bayern wieder einmal prächtig beigetragen hatten, wollte der Mann aus der Weltstadt nicht durch schnödes Fernbleiben vermiesen. Aber was dann? „Wir müssen darüber reden“, empfahl Lothar Matthäus. Und kündigte in seiner Rolle als Assistent des Assistenten des Trainers auch gleich an: „Bei der Sitzung zum Spiel wird es deutliche Worte des Trainers geben.“

Auch Kollege Volker Finke, der „das vielleicht beste Heimspiel dieser Saison“ gesehen hatte, wird es daran nicht mangeln lassen. Bayern kommt schließlich nur einmal im Jahr. Und daß schnelle Rechner in Freiburg jetzt schon wieder Richtung UEFA-Cup schielen, wird den Ajax-Fan schnell wieder zum strengen Verfechter des südbadischen Alltags machen.

Bayern München: Scheuer - Matthäus - Kreuzer (84. Papin), Helmer - Strunz, Sforza, Scholl, Nerlinger, Ziege (64. Kostadinow) - Klinsmann, Zickler (46. Witeczek)

Zuschauer: 22.500

Tore: 0:1 Klinsmann (15./Foulelfmeter), 1:1 Decheiver (42.), 2:1 Decheiver (51.), 3:1 Todt (88.)

Rote Karte: Helmer (89.) wegen Handspiels

SC Freiburg: Schmadtke - Heidenreich - Spanring, Müller, Kohl (84. Sundermann), Zeyer, Todt, Sutter (73. Buric), Freund - Decheiver, Jurcevic