Hauptsache weg ins Warme!

Die Deutschen zieht es in die Ferne, auch wenn der Gürtel enger sitzt – Asien ist weniger gefragt als Nordamerika und die Karibik  ■ Von Jens Uwe Parkitny

Berlin (taz) – Die Reiseindustrie läßt sich auch in diesem Jahr auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) als Wachstumsbranche feiern. Die Touristikkonzerne melden durch die Bank weg Umsatzsteigerungen für das Geschäftsjähr 95 und ein Buchungsplus für Flugreisen von über zehn Prozent für die laufende Wintersaison. Diese Angaben machte der Deutsche Reisebüro-Verband (DRV) schon vor der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Das Sprachrohr der Tourismuswirtschaft stellt auch klar, wohin die Reise geht: ins Warme. Nach Angaben des DRV ist die Nachfrage nach Sonnenzielen in Übersee unverändert gut.

Die Schlagzeilen über den Absturz einer türkischen Chartermaschine vor der Dominikanischen Republik, bei dem vor wenigen Wochen deutsche und ausländische Urlauber ums Leben kamen, konnten den Fernreisetrend nicht brechen. Nach wie vor sind Billigreiseländer wie die Dominikanische Republik und Kuba in den meisten Reisebüros der Renner.

Der einzige Unterschied zu der Zeit vor der Flugzeugkatastrophe: Die Agenturen werden von Kunden immer wieder gefragt, mit welcher Gesellschaft sie in den Urlaub fliegen. Die etablierten Veranstalter reagierten prompt. In Anzeigen und öffentlichen Statements weisen sie darauf hin, daß sie mit namhaften deutschen Charteranbietern zusammenarbeiten.

Vom relativ schwachen Dollar und den sich daraus ergebenden Wechselkursvorteilen für Bundesbürger profitieren auch andere Reiseziele jenseits des Atlantiks. Die USA und Mexiko werden nachgefragt wie selten zuvor. Doch nicht nur das Verhältnis der amerikanischen Währung zur Mark beeinflußt die Reiseentscheidung.

Da die frei verfügbaren Einkommen der Privathaushalte hierzulande im vierten Jahr in Folge aufgrund steigender Sozialabgaben schrumpfen, möchten immer mehr Touristen bereits vor Reiseantritt genau wissen, wie hoch die Nebenkosten vor Ort sind. Für Johann de Rie, verantwortlicher Direktor für das Fernreiseprogramm von Neckermann, ist dies der Grund für die zunehmende Popularität von „All inclusive“-Ferien, bei denen der Kunde von vornherein weiß, daß – vom Trinkgeld über Mahlzeiten, Ausflüge und im Extremfall sogar Zigaretten – alles im Reisepreis inbegriffen ist.

Die „Alles inklusive“-Clubs sind eine Urlaubsidee, die aus der Karibik stammt. Rückläufige Urlauberzahlen verbuchen derweil die asiatischen Länder Thailand, Indonesien und Singapur.

Daß die Deutschen aufgrund verhaltenen Wirtschaftswachstums weniger reisen, können selbst die jüngsten Marktstudien aber nicht feststellen. Das Leipziger Institut für empirische Forschung (LEIF) berichtet in seinem Reisebarometer 96 für den Osten der Republik: „Ende 1995 haben sich bereits 63 Prozent der Ostdeutschen für eine Urlaubsreise im Jahr 1996 entschieden.“ So hoch sei der Anteil der Reisewilligen im November eines Vorjahres noch nie gewesen. Eine aktuelle Analyse der Dresdner Bank bestätigt den Trend: „Die starke Präferenz der Deutschen für Auslandsreisen und der weiterbestehende Nachholbedarf bei ostdeutschen Touristen sprechen gleichwohl für einen weiteren Anstieg der Reiseausgaben von zur Zeit 70 auf etwa 73 Milliarden Mark.“