■ Kriminalitätsstatistik?: Hitchcock ist besser
Wie mobilisiert man die Massen? Am besten mit wirklichen oder irrealen Bedrohungsszenarien vom nahenden Weltuntergang, eigenwilligen russischen Raketen oder unkontrollierbaren Atomkraftwerken. Seit gestern ist es nun die neueste Kriminalitätsstatistik, mit der – in diesem Fall – Konservative die Bürger bange machen wollen. Mit der Kampfparole „Berlin ist eine Metropole des Verbrechens“ will etwa die Gewerkschaft der Polizei Panik verbreiten. Ihr Ziel: Trotz dramatischer Haushaltslage und Kürzungen in allen Bereichen soll die Polizei ohne blaues Auge davonkommen.
Allein die Argumentation von der „Kriminalitätslawine“ macht deutlich, daß die neue Statistik nicht von Kommissaren mit Kombinationsfähigkeit interpretiert worden ist, sondern von Menschen, die scheinbar oder tatsächlich an Verfolgungswahn leiden. Zu diesen Paranoikern zählt Polizeipräsident Saberschinsky, der allen Ernstes glaubt, jugendliche Sprayer bedrohten die Sicherheit der Stadt. Nüchtern betrachtet, ist die Zahl der Straftaten im letzten Jahr jedenfalls nur auf den Stand von 1993 geklettert. Auch wenn allein der Trend zu bedauern ist, sollte man sich kurz an dieses Jahr erinnern: Wurde man an jeder Straßenecke ausgeraubt, wurde jede Bank überfallen? Nein. Natürlich ist es trotzdem begrüßenswert, wenn Berlin noch sicherer wird. Aber gerade dann muß bei der Polizei gespart werden, um andererseits wenigstens noch einer Handvoll Ausbildern und Sozialarbeitern Gehalt zahlen zu können. Schließlich sind Armut, Arbeitslosigkeit und Ausbildungsplatzmangel wesentliche Ursachen für die Wahl einer kriminellen Karriere. Wer die Massen in Angst und Schrecken versetzen möchte, sollte sie lieber in den Kinothriller „Psycho“ schicken. Hitchcock ist für Nervenkitzel besser geeignet als jede Statistik. Dirk Wildt
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