Press-Schlag
: Was will „der Leser“?

■ Fußball-Fanzines suchen Zielgruppe

Es gibt in dieser Republik wohl kaum einen Zeitschriften- oder Zeitungsredakteur, der nicht davon träumt, ein Blatt zu machen, das konzipiert ist gemäß der guten alten Maxime „Die Zielgruppe bin ich.“ Falls diese Journalisten schon einmal Fanzines gelesen haben, sind sie zumeist neidisch auf deren Macher, weil die nach diesem Prinzip arbeiten können und nicht einen Verleger oder Chefredakteur im Nacken haben, der sie dazu anhält, „dem Leser“ nachzujagen, der hartnäckigsten Schimäre des Medienzeitalters.

Auf einem Kongreß von Fußball-Fanzine-Redakteuren, der am Wochenende in Oer-Erkenschwick stattfand, deutete sich allerdings an, daß die etablierten Medienfritzen ihre Kollegen von den Kleinstzeitschriften nicht mehr zu beneiden brauchen. Auch die sinnieren nämlich heftigst darüber, was „der Leser“ will. Eine Redakteurin des Bochumer Fanzines Vfoul bekannte zum Beispiel, zwischen dem, was sie gern schreiben wolle, und dem, was sie tatsächlich veröffentliche, bestehe manchmal ein Unterschied, und man bekam den Eindruck, sie leide unter der grotesken Situation bei ihrem Club: Vfoul ist zwar eines der drei besten Fanzines im Lande, doch nur ein kleiner Teil des überdurchschnittlich beschränkten Publikums im Ruhrstadion weiß die ironischen Streicheleinheiten zu würdigen, die die Redakteure dem Verein zugute kommen lassen.

Daß mehrere alternative Fußball-Periodika das Prinzip „Die Zielgruppe bin ich“, das das oberste des Fanzinemachens sein sollte, über den Haufen geworfen haben, das läßt sich auch konkret festmachen an den inhaltlichen Schwächen, über die während des Kongresses debattiert wurde. Zu selten, kritisierten einige Teilnehmer, setzten sich Fanzines fundamental analytisch mit Themen auseinander, was zuletzt beim Fall Bosman zu beobachten gewesen sei. So vermochten sich die Macher von Kleinstzeitschriften ebenso wie Journalisten aus dem linken Spektrum bisher nicht auszumalen, daß der Fußball mit seinen demnächst womöglich noch weiter geöffneten Grenzen mittelfristig als multikulturelle Folklore für eine immer härtere Ausgrenzung von Nicht-Deutschen in anderen gesellschaftlichen Bereichen herhalten wird.

Gelegentlich geisterte durch den Tagungsraum in Oer-Erkenschwick auch mal wieder die Idee von einer radikal subjektiven und distanziert-ironischen Fußballzeitschrift, die die positiven Impulse der Fanzine-Szene aufnimmt. Doch es war allen Teilnehmern klar, daß solch ein Blatt nur entstehen kann, falls man einen Millionär findet, der ein neues Spielzeug braucht. Völlig aussichtlos scheint das Unterfangen aber nicht zu sein: Hattrick, die Fußball-Illustrierte für die Toskana-Fraktion, scheint es ja auch geschafft zu haben. René Martens