Anschein des Harmlosen verloren

Dennoch durchs westliche Prisma gesehen: Afrikanische Visionen paradiesischer Zustände. Die Ausstellung „Neue Kunst aus Afrika“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt tappt in die übliche Falle des „Ursprünglichen“  ■ Von Katrin Bettina Müller

Glückliches Afrika! Farbenprächtig und fröhlich empfängt seine „Neue Kunst“ den Besucher im Haus der Kulturen der Welt. Ein „Gentleman“ im blauen Anzug und ein „Großer Häuptling mit Stock“ treten ihm als bemalte Zementskulpturen von nigerianischen Bildhauern gegenüber. Damit begegnet er schon den ersten Botschaftern von Tradition und Gegenwart. An den volkstümlichen Realismus von Alphabetisierungskampagnen und schauerlichen Moritaten erinnern die Bildgeschichten von Chri Samba (Zaire), Berthiers (Kenia) und Middle Art's Schildern (Nigeria), zumal die Maler ihren schwarzen Humor selbst dann nicht verlieren, wenn es um koloniale Ausbeutung oder Aids geht. Dem Jahrmarkt entsprungen scheinen die phantastischen Architekturmodelle von Bodys Isek Kingelez (Zaire), der Formen von Leuchttürmen, Zuckertörtchen, Zelten und Pagoden zu postmodernen Kulissen-Städten zusammenschiebt. Am prachtvollsten aber sind die Särge von Kane Kwei (Ghana) in Form von Vögeln und Fischen.

Als ob die mythische Gemeinschaft von Mensch und Tier noch immer um die nächste Ecke hausen könnte, werden Visionen paradiesischer Zustände wach: Kivuthi Mbuno (Kenia) zeichnet eine Band mit Löwe, Affe und Elefant, zu deren Musik Leopard und Zebra, Schildkröte und Stachelschwein auf je zwei Beinen tanzen. Tiefer zieht Twins Seven Seven (Nigeria) in die Beseelung der animistischen Welt ein: Überall öffnen sich in dem reich ornamentierten Gewirr aus Menschen- und Schlangenleibern kleine Fenster, aus denen andere Köpfe hervorlugen.

Das älteste Jagdbild stammt von Djilatendo, einem Schneider aus Zaire, den in den dreißiger Jahren ein Kolonialbeamter aus Belgien dazu bewegte, seine Wandbildmotive mit Wasserfarben auf Papier zu malen.

Gemeinschaft von Mensch und Tier

Wiedergefunden wurden die Bilder Anfang der siebziger Jahre unter der Matratze eines ehemaligen Direktors des Ministeriums für die Kolonien, Prier, passionierter Sammler afrikanischer Kunst. „Alle Snobs von Paris drängen sich dort auf der Suche nach der neuen Sensation“, berichtete 1929 eine Rezensentin aus Paris zu einer von Prier organisierten Ausstellung des Elfenbeinschnitzers Albert Lubaki: „O Wunder! Dieser völlig unbekannte Lubaki hatte mit der Naivität, die sie sich erhofft hatten, die Szenen gemalt, die sie erwartet hatten: Elefanten, Neger beim Abtransport eines Beutetiers; Kämpfe zwischen fremdartigen Vögeln.“

Von diesem Verdacht, die Kunst aus Afrika zu einem romantischen Spiegel einer von keiner Zivilisation verdorbenen Ursprünglichkeit zu verklären, kann sich bis heute keine Ausstellung afrikanischer Kunst befreien. Denn fast immer greifen die Ausstellungsmacher auf die Bestände europäischer Sammler und Kunsthändler zurück, da Museen für zeitgenössische Kunst und Ausbildungsstätten in den postkolonialen Staaten ebenso fehlen wie Kunstmarkt und -kritik. So konstituiert sich das Phänomen „Kunst in Afrika“ durch das westliche Prisma.

Damit öffnet sich die Zwickmühle „Authentizität“ gegen „Entfremdung“, deren Geschichte die Autoren des Katalogs der „Neuen Kunst aus Afrika“ beschäftigt. Ihre Spuren sind in den Exponaten gegenwärtig. Denn die Forderung nach Authentizität trat oft in jenem Moment auf, in dem sie durch das Herauslösen der Werke aus ihrem rituellen oder alltäglichen Gebrauchszusammenhang bedroht war. Die Beschwörung des Unverfälschten reproduzierte ihre eigenen Klischees und nagelte die Kultur des Kontinents auf genau jene Tradierung des immer Gleichen fest, mit der sie ihr Bild von der Geschichtslosigkeit Afrikas untermauerte. Sie verurteilte die Künstler zur thematischen Bindung an Stamm und Ritual im gleichen Augenblick, in dem ihre Nachfrage den Künstler als freien Unternehmer hervorbrachte. Erst kamen die Workshops, mit denen Missionare, Ethnologen oder Sammler die Kunst Afrikas fördern wollten, dann lauerte die westliche Kritik auf die Krise der Entfremdung.

Aber diesen für die Konstitution der westlichen Moderne unvermeidbaren Konflikt überspringen nicht wenige der beteiligten Künstler mit Leichtigkeit. Wenn wir gebannt auf die Berührung durch das „Andere“ warten – bitte sehr – dessen Ressourcen sind groß. Elegant antwortet Romuald Hazoumé (Benin) auf die zweischneidige Forderung nach Authentizität: In seinen Masken begegnen wir der treffenden Reduktion und magischen Expressivität, die schon an der Kultur des alten Königreichs Benin geschätzt wurde. Aber sie bestehen aus Müll, Abfällen industrieller Importe. Die drahtigen schwarzen Haare sind Kanistern angenäht, Telefonhörer markieren den starren Blick. An Bescheidenheit stehen Hazoumés Objekte der Arte povera nicht nach, an Frechheit gleichen sie den Dada-Skulpturen. Doch sie brauchen diese Bezüge nicht, um in ihrer doppelten Gerichtetheit – auf die eigene Kultur und ihre westliche Rezeption – verstanden zu werden.

Anders hintertreibt der kenianische Zeichner Richard Onyango die bemühte Trennung in eine rein afrikanische Kunst von den kolonialen Importen. In witzig-böser Übertreibung malt er sein Leben mit „Drosie“ aus, der fetten, weißen Freudin, die ihn in eine Villa mit Swimmingpool und Mercedes Benz gelockt hat. So daß wir den „armen Künstler“ gar nicht mehr bemitleiden können.

Ebensowenig entsprechen die bemalten Zementskulpturen oder Kweis figürliche Särge traditionellen Formen. Erst in jüngster Zeit haben sich diese „Medien“ als Teil eines neu entstandenen Kultes der Beerdigung verbreitet. Als Grabplastiken sind die Zementskulpturen ebenso beliebt wie als Reklame an der Straße.

Konstruktion von der Einheit des Kontinents

So verliert die „Neue Kunst aus Afrika“ ihren ersten Anschein des Harmlosen, nicht aber ihre Vitalität. Die Kategorie des „Zeitgenössischen“ jedoch, die der Kurator Alfons Hug beansprucht, wird teilweise außer Kraft gesetzt. Denn sie gewinnt erst vor dem Horizont eines westlichen Modells von Autonomie und Entwicklung Kontur, der angesichts der funktionierenden Einbindung in den Alltag bedeutungslos ist.

Ebenso wie die kulturhistorische Ausstellung „Afrika – Die Kunst eines Kontinents“ im Martin-Gropius-Bau bedient sich das Haus der Kulturen des Konstrukts von der Einheit des Kontinents. Das Ziel ist jedoch, den Blick allmählich zu Differenzierungen zu befähigen. Deshalb plant das Haus anschließend, sich dem urbanen Kontext von Südafrika zu widmen, der mit härteren visuellen Mitteln Konflikte um Ausgrenzung und Macht thematisiert.

Die Ausstellung „Neue Kunst aus Afrika“ im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, läuft bis 5.Mai. Der propper gemachte Katalog kostet 39 DM.