■ Mobil sein ist modern
: Warum sollen wir seßhaft werden?

Die Projekte kennen wir alle: Nahezu jedes europäische Land hat gleich mehrere, mit denen Sinti und Roma und allgemeiner alle Umherfahrenden „seßhaft“ gemacht werden sollen. Je nach sozialer Einstellung geht das mit polizeilichem Zwang oder großzügigen finanziellen und immobiliaren Hilfsangeboten. Doch alle haben nur ein Ziel, uns die ewige Fahrerei abzugewöhnen und uns in sogenannte „bürgerliche“ Leben zu integrieren. Weg mit dem Wohnwagen, rein in den Block, feste Arbeit, das war's.

Das Perverse: Während man sich bemüht, uns dieses Umherziehen auszutreiben, werden staatliche Programme oder gar Zwangsmaßnahmen zur Regel, mit denen den seit Jahrhunderten Seßhaften, den angestammten Bürgern der jeweiligen Ländern, die Seßhaftigkeit wieder entzogen wird.

Wer arbeitslos ist – derzeit in der Europäischen Union bekanntlich an die 50 Millionen Menschen, soll gefälligst sein Festhalten am Wohnsitz aufgeben und schon mal dreihundert oder auch tausend Kilometer weiter nördlich oder östlich Posten fassen, auch wenn's nur für ein halbes Jahr ist, danach vielleicht noch weiter weg. Hunderttausende Deutsche oder Italiener, Franzosen oder Briten leben längst fast nur aus dem Koffer. Täglich übernachten mehr als zwei Millionen Deutsche aus beruflichen Gründen in Hotels fern von zu Hause, zigtausend jeden Tag an einem anderen Ort. Kaum einer dieser Hundertausenden, die seit langem aus dem Koffer leben, gibt zu, daß auch schon alle Werte seiner früheren bürgerlichen Existenz verloren sind.

Da fragen wir uns also, warum es nun uns plötzlich einleuchten soll, seßhaft zu sein. Von zehn seßhaft Gewordenen aus unseren Reihen haben maximal drei eine feste Arbeit, und wer von uns arbeitslos wird, kriegt kaum eine neue. Mir selbst hat der Sozialarbeiter, nachdem ich immerhin drei Jahre in einer Wohnung gelebt und zwei Jahre als Helfer bei einem Karosserieschlosser gearbeitet hatte, bei beginnender Arbeitslosigkeit einen neuen Posten angeboten: in einer Stadt, mehr als zweihundert Kilometer weg. Die Fahrtkosten, sagte er, würde die Stadt übernehmen, ich müßte halt die Woche über dort wohnen und mit der Baugruppe weiterziehen, als Unterkunft gebe es für diese Zeit einen Wohnwagen.

Die Ironie in meiner Antwort, daß ich dann ja wohl gleich im meinem alten, gutausgerüsteten, mittlerweile aber als Zeichen meines „Seßhaftigkeitswillens“ verscherbelten Wohnwagen hätte bleiben können, diese Ironie war ihm vollkommen unverständlich. Branco Servicewic

Der Autor hat an verschiedenen Ansiedlungsprogrammen in Italien und Deutschland teilgemommen und ist mittlerweile wieder zu den „Fahrenden“ übergegangen. Er lebt derzeit bei Latina im südlichen Lazium