Österreichs Hilfstip: Beeren sammeln

■ Seit dem Anschlag auf die Roma in Oberwart hat sich nichts geändert

Der einzige Ort, an dem es das Ghetto nicht gibt, ist der Friedhof. Dort liegen Roma neben „normalen“ Oberwartern. Friedlich. Auch die Opfer des Rohrbombenattentats vom vergangenen Jahr liegen dort: die Dorfbewohner Peter Sarkösi, Josef Simon, Karl und Erwin Horwath.

Es war die Nacht zum 5. Februar 1995, als die vier jungen Männer aus Oberwart im Burgenland das plötzlich aufgetauchte Schild „Roma zurück nach Indien“ wahrscheinlich entfernen wollten und dabei von einem Sprengkörper zerfetzt wurden. Ein Bekennerschreiben war von der „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ unterzeichnet worden, die ihre Anschläge mit Briefbomben seither fortgesetzt hat. „Jetzt müssen gerade jene in die Mitte genommen werden, die am Rande leben“, hat damals der österreichische Bundespräsident gesagt, als die vier ermordeten Roma beerdigt wurden.

„Es hat sich nichts verändert in diesem Jahr“, sagt Michael Horvath. Der alte Mann, der sein ganzes Leben mit Ausnahme von sechs KZ-Jahren in Oberwart verbrachte, hat durch die Bombe zwei Enkel verloren. Das Ghetto ist Ghetto geblieben. Bürgermeister Michael Racz: „Früher hat man die Roma ignoriert. Nach dem Anschlag hat man sich mit ihnen beschäftigt, und das hat die Geister geschieden.“ Stefan Horwath, Exsiedlungssprecher und Stiefvater zweier Opfer, sieht nur eine Lösung: „Man müßte die Siedlung mit der Planierraupe niederfahren und die Leute in die Stadt holen.“

Oberwart hat 6.000 Einwohner und liegt im Burgenland. Es ist der erste wärmere Tag in diesem Winter, der Boden hat sich in Matsch verwandelt. Die Straße in der Roma-Siedlung ist immer noch nicht asphaltiert. Abseits des Orts ducken sich die Häuser unter der Umgehungsstraße, die den Autoverkehr über den Dächern entlangführt. Auf der anderen Seite entsteht gerade eine Wasseraufbereitungsanlage für das Südburgenland.

Nach dem Anschlag hat das Europäische Parlament den Familien der Opfer in einer Resolution „Mitleid und Solidarität “ ausgedrückt. Die ursprünglich enthaltene Kritik an den Lebens- und Wohnverhältnissen der Roma wurde auf Betreiben der beiden großen Parteien SPÖ und ÖVP wieder aus der Resolution gestrichen.

Stadt, Land und Arbeitsamt haben nach dem Anschlag eine teure Studie in Auftrag gegeben, für ein großes Projekt: „Roma Siedlung neu“. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Es fehlt an adäquatem Wohnraum und an Arbeitsplätzen. Als Gegenmittel empfiehlt die Studie Beglückung im Stil der 50er Jahre: Zur Arbeitsbeschaffung werden etwa „Altwaren- und Sperrmüllrestauration“ für die Männer, für Frauen „Sammeln und Weiterverkauf von Pilzen und Beeren“ vorgeschlagen.

Und jetzt gibt es auch noch Neid um die Spendengelder. Judith Simon, die Witwe von Josef: „Durch die Spenden ist wahnsinnig viel Neid und Haß entstanden.“ Die Leute spionieren ihr bis in den Einkaufswagen nach, ob sie jetzt vielleicht mit den „Millionen“ ein luxuriöses Leben führt. Dabei wurden nur insgesamt 800.000 Schilling auf die Familien der Opfer verteilt. „Früher war zwischen uns und den anderen eine Glaswand, jetzt ist es eine Mauer“, sagt ein Rom.

Im 16. Jahrhundert hatte es begonnen. Damals kamen „Zigeunger“ mit dem türkischen Heer ins Burgenland. Und anno 1720 hielt Kaiser Karl VI. In einer Verordnung lakonisch fest: „,Wanderzigeuner‘ stellen eine Bedrohung des Landes dar und sind auszurotten.“ Maria Theresia ließ den „Zigeunern“ die Kinder wegnehmen, 1928 wurde eine Rassenkartei angelegt, die 1938 der SS zur Verfügung gestellt wurde. Von 11.000 österreichischen Sinti und Roma überlebten kaum die Hälfte die nazionalsozialistischen KZ. Noch 1991 wollte Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) sie nicht als Volksgruppe anerkennen. Das zumindest wurde zwei Jahre später dann nachgeholt. Dann kam der Anschlag. Seitdem zittert jeder vor neuen Bomben.

Daniel Asche, Wien