Ständig von Vertreibung und Armut bedroht

■ Die irischen „Travellers“ sind bewußt Mitglied im Verband der Sinti und Roma

In den bunten, hölzernen „Zigeunerwagen“, die einem im Sommer bisweilen in Irland begegnen, sitzen heutzutage nur noch Touristen. Die „Travellers“, die früher solche Pferdewagen benutzt haben, sind längst auf blecherne Wohnwagen umgestiegen. Früher hießen sie „Tinker“, was den Klang eines metallverarbeitenden Hammers beschreibt. Doch dieser Name hatte einen negativen Beigeschmack bekommen.

Bereits in vorchristlicher Zeit reisten Schmiede durch Irland, die Bronze und Zinn verarbeiteten. Im Laufe der Zeit haben die Fahrenden eine eigene Sprache, das „Shelta“ oder „Cant“, entwickelt. Noch zu Beginn des Jahrhunderts waren die „Travellers“ integraler Bestandteil des wirtschaftlichen Gefüges und zogen als Kesselflicker, Weber, Schneider, Pferdehändler, Musiker und Geschichtenerzähler durch das Land. Doch mit der Einführung landwirtschaftlicher Maschinen, Plastikwaren und Fertigtextilien waren ihre Berufe nicht mehr gefragt. Die Fahrenden wichen in die Städte aus, wo sie sich neue Berufschancen erhofften.

Ihre Lebensbedingungen sind heute schlechter, als die der ärmsten Schichten der seßhaften Bevölkerung. Ihre Lebenserwartung liegt bei 50 Jahren, die Familien sind doppelt so groß und die Kindersterblichkeit dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Unterernährung und Mangelerscheinungen sind weit verbreitet unter den Familien, die oft vom Müll der anderen leben. In vielen Kneipen, Restaurants, Supermärkten oder Waschsalons haben „Travellers“ keinen Zutritt. In den Schulen werden ihre Kinder in gesonderten Klassen unterrichtet. Bei Verbrechen sucht man zuerst bei ihnen nach Tatverdächtigen, wie im Januar bei der Mordserie an alten, alleinstehenden Bauern auf abseits gelegenen Höfen. Nachdem ein hochrangiger Polizist offen seinen Verdacht ausgesprochen hatte, machte sich eine regelrechte Pogromstimmung gegen Traveller breit.

Drei Viertel der Bevölkerung würden kein Haus in der Nähe eines Rastplatzes der Fahrenden kaufen. Die Rastplätze sind zu Konfliktherden geworden, nicht selten werden die Wohnwagen verbrannt, während die Polizei tatenlos zusieht. Die 18.000 Fahrenden in Irland sind ständig von Vertreibung bedroht.

Als sich die irische Regierung in den sechziger Jahren zum ersten Mal offiziell mit den Fahrenden beschäftigte, richtete sie dabei weiteren Schaden an: Die Fahrenden wurden mit dem Begriff „Itinerants“, Nichtseßhafte, belegt und wie Bettler und Diebe eingestuft. Ihre eigenständige Kultur und ihren Lebensstil berücksichtigte man nicht. Die Regierungskommission war der Ansicht, daß das Problem nur zu lösen sei, indem man die Fahrenden „absorbiere und integriere“ – das heißt, sie seßhaft mache.

Erst seit den achtziger Jahren gelingt es den Fahrenden, sich etwas mehr Gehör zu verschaffen. Sie sind inzwischen der internationalen Sinti- und Roma-Vereinigung beigetreten, obwohl sie Iren sind. Die Vorfahren vieler Traveller-Familien sind in Hungerzeiten von Haus und Hof vertrieben worden, weil sie die Pacht nicht mehr zahlen konnten.

Heute sind die Fahrenden in Seßhafte und Nomaden zersplittert, ihr Selbstbewußtsein ist niedrig, Teile ihrer Kultur sind verschwunden und die Vorurteile der Bevölkerung und der Behörden ungebrochen. Viele Fahrende haben sich aufs Betteln verlegt. Die IrInnen winken meist ab und behaupten, daß es den Fahrenden in Wirklichkeit prächtig gehe – zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Ralf Sotscheck, Dublin