Operation „Campo Nomadi“

Beim „Ansiedlungsprogramm“ für Roma in der „Ewigen Stadt“ bleiben Konflikte nicht aus. Anhänger der Alleanza Nazionale machen mobil gegen neue Lager am Stadtrand  ■ Aus Rom Clemes Wergin

Ein kalter Spätwintertag an der Peripherie Roms. In der klaren Morgensonne wirkt das neue Lager, „Campo Nomadi“ genannt, recht kühl und unpersönlich: Auf rechtwinklig angeordneten Betonfundamenten stehen die Wohnwagen der muslimischen Roma wie auf kleinen Inseln, umgeben von ordentlich gehaltenen Kiesbeeten. Man wähnt sich auf einen gut geführten Campingplatz, Wasch- und Toilettengebäude inbegriffen.

Elena ist Assistentin des Hilfswerkes Opera nomadi und leitet im Lager von Tor dei Cenci das „Einschulungsprojekt“. Mit Handschlag begrüßt sie die Polizisten, die am Eingang des umzäunten Lagers Wache halten. Dann geht sie von Wagen zu Wagen und holt die Kinder ab. Sie erkundigt sich bei einigen Müttern nach kranken Kindern. Die Kleinen freuen sich aufgeregt auf die Schule. Moris, 9, will wissen, wer der Fremde im Bus ist, ich also. Journalist bin ich. „Faschist?“ fragt er besorgt zurück.

Moris weiß genau, wem die „Nomadi“ den Medienrummel der vergangenen Monate zu verdanken haben: Seit die Neosfachisten der Alleanza Nazionale (AN) Mitte Dezember lautstark und handgreiflich zahlreiche „spontane“ Bürgerdemonstrationen gegen das neue Lager organisiert haben, sind die „Zingari“ nicht mehr aus den Schlagzeilen verschwunden.

Paradoxerweise richten sich die Proteste in jüngster Zeit nicht mehr, wie vordem, gegen die unzumutbaren sanitären und sozialen Verhältnisse, unter denen nicht nur die Roma, sondern auch die Umgebung gelitten hatte, sondern gegen die neuen, mit Wasser, Gas und Strom ausgestatteten Lager, die die Stadt einzurichten begonnen hat. Im vorigen Lager in Tor di Valle hatten die Roma vom Stamm der Khorakhane mit fast katzengroßen Ratten zusammengehaust, in einer Schlammwüste ohne Strom und Wasser.

Teufelskreis aus Vorurteilen und Diebstahl

Das Problem ist, daß die Zingari fast nur in einem einzigen Zusammenhang auffallen: Wenn sie betteln oder, nicht selten, in Klauverdacht geraten. Marco Caporale von der Opera Nomadi erklärt das so: „Tatsächlich lebt ein Teil der Roma von der Kleinstkriminalität. Wirtschaftlich an den Rand gedrängt und ohne Aussicht auf Arbeit, weil ihnen kein Italiener über den Weg traut, bewegen sie sich in einem Teufelskreis. Sie stehlen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“ Der kindliche Trick ist einfach und meist effizient: Ein Mädchen hält den Fremden (nur selten den Einheimischen) einen Karton mit der Aufschrift „Grazie“ vor die Brust und verdeckt so, daß die anderen Kinder inzwischen an ihm herumtasten und mitunter die Geldbörse mitgehen lassen.

Gerade die Ausbeutung der Kinder nehmen die Italiener besonders übel. Weshalb die oberste Priorität des grünen Oberbürgermeisters von Rom, Francesco Rutelli, denn auch darin besteht, die Kinder vor der Straße wegzubringen – vorwiegend mit dem Einschulungsprogramm, das derzeit an die dreißig Roma-Camps umfaßt.

Die Kinder sind inzwischen vor den verschiedenen Schulen abgesetzt worden. „Manche LehrerInnen beschwerten sich anfangs über den Dreck und den üblen Geruch der Kinder“, erzählt Sozialarbeiterin Elena, „weshalb wir angefangen haben, sie in der Schule zu duschen. Das hat ihnen ungeheuren Spaßt gemacht, sie sind aus Stolz über ihre Sauberkeit nackt im Klassenzimmer herumgelaufen.“ Eine der besonders positiven Folgen der Einschulung sehen nicht nur Sozialarbeiter, sondern auch Eltern darin, daß die Kinder nach der Schule auch im Camp weniger miteinander streiten.

Um so deprimierender ist es für alle, daß gerade diese erfolgreiche Kampagne einerseits durch die Instrumentalisierung mancher kleiner Straftaten so ins Wanken geraten ist. Ein Wohnwagen ging in Flammen auf, Zufahrtsstraßen zu den Camps mußten tagelang von der Polizei abgeriegelt werden, um Zusammenstöße zu vermeiden; der Gipfelpunkt war ein Sturmangriff von Demonstranten unter Anführung einiger AN-abgeordneter auf das Büro des Bürgermeisters.

Die Campo-Roma suchen demonstrativ nach Frieden

Besonders aggressiv reagierten Menschen aus der Peripherie Roms: Dort ging es jedoch wohl nicht unbedingt um die Roma selbst, sondern darum, daß sich die Bürger dort seit eh und je vernachlässigt fühlen und sich besonders ärgern, wenn soziale Brennpunkte von den feinen Vierteln ferngehalten werden, indem man sie zu ihnen verlagert. Die Roma ihrerseits suchen immer wieder demonstrativ nach Frieden. Als wir die Kinder nachmittags wieder von der Schule zurückbringen, bereiteten sie gerade ein Fest vor, zu dem sie auch die besonders aggressiven AN-Abgeordneten einladen wollten. Die kamen dann auch tatsächlich. Massimo Converso vom Opera Nomadi sprach hinterher von einem „Waffenstillstand“, den man erreicht habe. Zweifel sind jedoch angebracht. Das neue Lager verschwand jedenfalls nicht aus den Schlagzeilen: Kaum wird irgendwo ein Roma-Kind beim Stehlen ertappt, geht die Kampagne schon wieder los. Die Gefahr, daß darunter auch das Einschulungsprogramm leidet, ist groß.

Neidisch blickt Roms Stadtoberhaupt Rutelli daher auf ein Modell im ostitalienische Foggia, das ausgerechnet ein Bürgermeister aus den Reihen der Alleanza Nazionale realisiert hat. Dieser hat hygienische Wohnverhältnisse auch gegen Proteste seiner eigenen Basis durchgesetzt und sogar eigene Schulbusse für alle Roma-Lager der Stadt eingeführt. Rutelli sucht die Bürger auf andere Wiese milde zu stimmen: Den Bürgern in Ciampino hat er versprochen, daß er ihnen nicht nur Roma schicken, sondern auch einen Golfplatz bauen will.