In auswärtigen Katakomben

Die „Verschworene Gesellschaft“: Hans-Jürgen Döscher untersucht Kontinuität und Neubeginn im Auswärtigen Amt der Adenauer-Ära  ■ Von Hans-Rüdiger Minow

In Zeiten ständig wachsender internationaler Einflußnahme und grenzüberschreitender Aktivitäten der Bundesrepublik wäre es von Nutzen, über grundlegende Dispositionen ihrer diplomatischen Repräsentanten informiert zu sein. Wer jedoch nach Informationen sucht, die das gegenwärtige Wirken der knapp zweitausend Dienstangehörigen des Auswärtigen Amts historisch herleiten, gerät in publizistische Sperrbezirke: Außer einer überflugartigen Festschrift von 1970 hat das traditionsreiche Ministerium aus der einstigen Wilhelmstraße im kaiserlichen Berlin nichts Klärendes zu bieten.

Diese außerordentliche Bescheidenheit einer sonst recht selbstbewußten Beamtengruppe mit aristokratischen Traditionen nutzt Hans-Jürgen Döscher nun zum zweiten Mal, um das Amt und dessen Souverän erröten zu lassen. Galt Döschers erste Studie der deutschen „Diplomatie im Schatten der ,Endlösung‘“ (Berlin 1987), so widmet sich die jetzt vorliegende Arbeit dem Auswärtigen Amt unter Adenauer. Döscher konnte dabei auf das handelnde Personal seiner Untersuchung über die Nazi-Jahre zurückgreifen, mußte darauf zurückgreifen: Unmittelbar nach Gründung der Bundesrepublik befanden sich etwa zwei Drittel der leitenden Positionen im Auswärtigen Amt in den Händen ehemaliger Parteimitglieder der NSDAP.

Döscher erschließt Aktenmaterial, das den Werdegang führender Nachkriegsdiplomaten dokumentiert und jene Bereiche beleuchtet, die bis heute verschwiegen werden. Die Laufbahngeschichten beginnen in begüterten Familien des Kaiserreiches, wo die Vätergeneration dem preußischen Wilhelminismus dient. Antidemokratisches Verhalten, Judenhaß und Größenideen sind selbstverständlich. Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gilt es sodann, den außenpolitischen Anspruch auf einen „Platz an der Sonne“ zu erfüllen.

Nach 1918 läßt man sich herab, die beschnittenen Interessen des höherwertigen „Deutschtums“ auch im Auswärtigen Amt von Weimar zu vertreten. Republikaner, Sozialdemokraten, Kommunisten oder Juden haben keinen Zutritt. Dafür bahnen sich Geistesverwandtschaften mit den Parvenus der Hitler-Bewegung an, leider recht unkultivierte, meist vulgäre Personen, jedoch mit dem Vorzug, für ein größeres Deutschland streiten zu wollen. Auch unter NS-Außenminister Ribbentrop bleibt die elitäre Gesellschaft in der Wilhelmstraße weitgehend unangetastet, nimmt sich aber Gesten mokanter Verachtung heraus, als das außenpolitische Eroberungsprogramm ungeschliffen und übereilig auf den Weg gebracht wird.

Zur Unzeit gibt es Krieg und diplomatische Aufgaben in den Hauptstädten Europas. Die Vertreter des Auswärtigen Amtes bei den Militärbefehlshabern in Brüssel, Paris, Warschau oder Belgrad kommen nicht umhin, Deportationslisten zu schreiben, Konzentrationslager zu füllen. „Die vorgesehene Abschiebung von 10.000 hier ansässigen staatenlosen Juden ist durchgeführt“, meldet etwa der Gesandte von Bargen nach Berlin. Dort gehen aus den Hauptstädten des Feindes verschlüsselte Botschaftsberichte deutscher Geschäftsträger ein. Sie erklären zivile Bombenziele in London oder enthalten Vollzugsmeldungen über NS-Sabotageaktionen.

Als die Erfolglosigkeit beim Erobern der Welt nicht länger übersehen werden kann, wächst das Empfinden, betrogen zu sein. Zahlreiche Kassiber beklagen das Versagen der Nationalsozialisten, nur wenige Düpierte schreiten zur Tat. Über Ernst Freiherr von Weizsäcker, Staatssekretär bei NS-Außenminister Ribbentrop, schreibt der desillusionierte Diplomat Ulrich von Hassell in sein Tagebuch: „Etwas, das nach Handeln schmeckt, ist von dort nie zu erwarten.“

Daß jener Beamtenkreis das Auswärtige Amt unter Adenauer prägte, mag einem anachronistisch erscheinen, aber keiner aktuellen Rede wert. Wie Döscher überzeugend nachweist, hat dieser Anachronismus auch unter den Außenministern Brandt und Scheel angehalten. Mit einem resignativen Eingeständnis wird der ehemalige „Botschafter zur besonderen Verwendung“ Egon Bahr zitiert: „Selbstverständlich haben wir von der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht weniger Diplomaten gewußt. Aber auch für sie galt das Leistungsprinzip bzw. die Loyalität... Sie waren nicht einzustellen, sondern wären zu entlassen gewesen. Mit welcher Begründung angesichts der Tatsache, daß der Bundeskanzler (Kiesinger) Mitglied der NSDAP gewesen ist und schließlich auch im Bereich des Ribbentrop-Ministeriums gearbeitet hat?“

So wuchs das Auswärtige Amt in die 80er Jahre und von sozialliberalen Rücksichtnahmen in christdemokratische Forschheit. Nicht der Kniefall von Warschau, sondern das Erbe, das Döscher behandelt, wurde gepflegt. Man schreibt das Jahr 1989, da der deutsche Generalkonsul in Mailand die Ehrung mehrerer SS-Gräber auf einem Soldatenfriedhof des Zweiten Weltkrieges verweigert, aber vom Auswärtigen Amt keine Rückendeckung erhält. Selbst als es dem unerschrockenen Diplomaten gelingt, die Toten als KZ-Organisatoren und Massenmörder zu identifizieren, bestehen seine Bonner Vorgesetzten auf Kranzniederlegungen am „Volkstrauertag“. Drei Jahre wehrt sich der deutsche Generalkonsul standhaft, in den Katakomben einer verbrecherischen Vergangenheit die Täter zu ehren – dann nimmt er seinen Abschied. Eine Verständigung mit dem Außenministerium erwies sich als unmöglich.

Eben dieser Generalkonsul a.D. Steinkühler hat das Vorwort zu Döschers Studie geschrieben und mit beruflichem Understatement seine dienstlichen Erlebnisse ausgespart. Steinkühlers Entscheidung unterstreicht den strikt wissenschaftlichen, gänzlich unspektakulären Charakter des Buches. Sie bringt uns jedoch um Einsichten, die das Wiederentstehen der Wilhelmstraße befürchten lassen könnten.

Hans-Jürgen Döscher: „Verschworene Gesellschaft. Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität“. Mit einem Vorwort von Manfred Steinkühler. Akademie Verlag, Berlin. 405 Seiten, 48 DM