Wie Castro in Florida Wahlen gewann

Bob Dole profiliert sich bei der exilkubanischen Gemeinde mit den gleichen Anti-Castro-Sprüchen wie Bill Clinton 1992. Nur Pat Buchanan kann hier niemand leiden – er gilt als Ausländerfeind  ■ Aus Miami Andrea Böhm

Aus der Ferne sehen sie aus wie Mücken. Aus der Nähe wirken sie wie provisorisch zusammengeschraubte Blechkompositionen auf drei kleinen, dicken Gummireifen, die an jede Schubkarre passen würden. Der Pilot der ersten Cessna wirft den Motor an, während sein Kopilot mit der Einstiegsluke kämpft, die nicht schließen will. Der Motor der zweiten beginnt zu rattern, eine dritte Maschine startet. Im Konvoi rollen die Cessnas auf die Startbahn des Opa-Locka-Flughafens in Miami, beschleunigen, heben ab. Die Zurückgebliebenen starren in den Himmel, einige bekreuzigen sich, andere schwenken kubanische Fahnen, Kamerateams verfolgen die Maschinen, bis sie aus dem Blickfeld verschwunden sind. „Hermanos al Rescate“, die „Brüder zur Rettung“, fliegen wieder.

Heute sind sie nur zu den Bahamas unterwegs, um kubanische Bootsflüchtlinge mit Bohnen, Reis und Trockenmilch zu versorgen. Am 24. Februar waren zwei Flugzeuge der Hermanos vor Kubas Küste nach einer Vorwarnung von kubanischen MiG-Kampffliegern abgeschossen worden. Vier der „Brüder zur Rettung“ starben. „Wir haben ihnen die cojones (die Eier) weggeschossen“, vermeldete einer der kubanischen Piloten triumphierend an die Bodenstation.

José Basulto, Chef der Hermanos, war an jenem Tag mit seiner Maschine als einziger unversehrt in seinen Hangar auf dem Opa- Locka-Flughafen zurückgekehrt. Dort gibt er seitdem eine Pressekonferenz nach der anderen. Dunkle Ringe haben sich um seine ohnehin melancholischen Augen gebildet, die Mundwinkel hängen bekümmert nach unten, seine Schultern sind gebeugt. „Nie hätte ich dem Castro-Regime eine solche Brutalität zugetraut“, sagt er. Gerade von ihm klingt das komisch, denn Basulto gehört mit einigen anderen zu jenem fanatischen und einflußreichen Flügel der Exilkubaner in den USA, die Fidel Castro von sexuellen Perversionen bis zum Massenmord alles zutrauen.

Heute – an dem Tag, da die übriggebliebenen „Brüder zur Rettung“ ihre „Mission“ wiederaufnehmen – läßt sich Basulto im Hangar auf dem Opa-Locka-Flughafen feiern wie ein General, der zwar Truppen verloren, aber eine Schlacht gewonnen hat. Vertreter anderer Exilorganisationen zücken Schecks, ältere Damen drücken ihm mit Tränen in den Augen ein Küßchen auf die Wange, Männer mit Goldkettchen, Pilotenbrillen und Fliegerjacken schlagen ihm wuchtig auf die Schulter.

Der 56jährige ist ein Kriegsheld, der in ihren Augen nicht nur die „größeren Eier“ hat, also mehr Schneid als Castro und die gesamte kubanische Luftwaffe zusammen. Basulto hat auch einen politischen Sieg gelandet: Die vier toten Hermanos sind zum Thema des US- Wahlkampfs geworden. Und aus Angst, von seinem republikanischen Gegenkandidaten der Feigheit gegenüber Castro bezichtigt zu werden, hat Präsident Bill Clinton prompt die Kuba-Sanktionen verschärft und einer Gesetzesvorlage des rechtsextremen republikanischen Senators Jesse Helms zugestimmt, nach der US-Niederlassungen ausländischer Firmen, deren Geschäfte auf Kuba in irgendeiner Weise enteigneten Besitz betreffen, nun vor US-Gerichten verklagt werden können. Bob Dole, dessen Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner mittlerweile so gut wie sicher ist, hat Mühe, dem vorauseilenden Rechtsdrall noch eine eigene Note zu geben. Mit seiner notorisch grimmigen Miene stattete er wenige Tage vor den republikanischen Vorwahlen in Florida „Little Havanna“, dem exilkubanischen Zentrum in Miami, einen Besuch ab, legte zum Gedenken an die vier Toten einen Kranz vor dem Denkmal der Schweinebucht- Invasion nieder und forderte das US-Justizministerium auf, gegen die „Mörder“ der vier Hermanos in den USA Anklage zu erheben.

„So sind wir doch auch mit Noriega fertiggeworden“

Als Journalisten unter dem lauten Beifall der anwesenden Exilkubaner und Dole-Anhänger wissen wollen, ob auch Castro vor ein US- Gericht gestellt werden soll, grummelt der Republikaner kurz angebunden: „So sind wir doch auch mit Noriega fertiggeworden.“ Auf die Frage, ob Dole analog zum Fall Panama eine US-Invasion in Kuba befürwortet, bleibt der Kandidat eine Antwort schuldig.

Doles Sprüche noch zu übertrumpfen bleibt seinem Rivalen Pat Buchanan vorbehalten. Er taucht am selben Tag in „Little Havanna“ auf und drischt auf einen seiner Lieblingsfeinde ein: die UNO, die einen Diktator wie Fidel Castro zu den Feierlichkeiten anläßlich des 50jährigen Bestehens der Organisation eingeladen habe. Wäre er, Buchanan, an jenem 24. Februar Präsident gewesen, so hätte er „die kubanische Luftwaffe auf den Boden des Ozeans befördert“ – vorausgesetzt, die kubanischen Kampfflugzeuge hätten die „amerikanischen Cessnas“ nachweislich über internationalen Gewässern abgeschossen.

Doch selbst diese Demonstration verbaler cojones nützt dem Fernsehkommentator in Florida wenig. Hier, am Tor zu Lateinamerika, schätzt man seine Tiraden gegen Freihandel ebensowenig wie seine Propaganda gegen Immigranten. Vor einer anderen, zahlenmäßig starken Wählergruppe braucht er gar nicht erst aufzutreten: Aufgrund seiner antisemitischen Äußerungen gilt Buchanan unter den jüdischen Einwohnern Floridas als Persona non grata.

Für einen Rechtsdemagogen wie Buchanan ist Florida trotz militanter Antikommunisten und der Popularität von Todesstrafe und Bürgerbewaffnung zu heterogen. Um so unverständlicher erscheint, daß es einer kleinen Gruppe innerhalb der Minderheit der Kubanoamerikaner gelungen ist, einem Präsidentschaftswahlkampf ihren Stempel aufzudrücken.

Die meisten Exilkubaner wollen Dialog mit Castro

Kubanoamerikaner machen nur rund sieben Prozent der Wählerschaft in Florida aus, und nach jüngeren Umfragen ist eine Mehrheit unter ihnen nicht mehr an einem Konfrontationskurs der USA gegenüber Castro interessiert, sondern will Verhandlungen, die Reiseerleichterungen, Familienzusammenführung, Wirtschaftskontakte und am Ende einen friedlichen Machtwechsel garantieren.

Doch das Organisationsvermögen, die Einschüchterungsversuche gegen dialogbereite Exilkubaner und das Geld des radikalen Anti-Castro-Flügels um Männer wie José Basulto und den Millionär Jorge Mas Canosa dominieren weiterhin die politische Maschinerie, aus der die Kongreßabgeordneten Südfloridas kommen – sie sind ausnahmslos Gegner eines Dialogs mit Castro.

Soviel politische Macht für eine so kleine, radikale Minderheit basiert auf US-amerikanischer Wahlarithmetik, wonach es die meisten Delegierten – oder Wahlmännerstimmen – in den bevölkerungsreichsten Bundesstaaten zu holen gibt. Florida ist mit seinen mittlerweile 14 Millionen Einwohnern der viertgrößte Fisch, den es für Präsidentschaftskandidaten zu fangen gilt. Traditionell wählt die Mehrheit hier republikanisch. Doch Bill Clinton fehlten 1992 nur 100.000 Stimmen in Florida, um George Bush zu schlagen. Er hatte die Kubanoamerikaner im Wahlkampf 1992 mit ähnlicher Rhetorik hofiert, wie es heute Bob Dole tut: Er forderte noch härtere Sanktionen und warf George Bush vor, die „Chance zu verschlafen, Castro endgültig zu erledigen“.

Auch Clinton erledigte Castro nicht. Vielmehr folgten der Flüchtlingskrise 1994 erste zaghafte Ansätze einer Entkrampfungspolitik zwischen beiden Ländern. Doch seit die vier „Brüder zur Rettung“ ins Visier kubanischer Kampfbomber gerieten und Bill Clinton seine Kuba-Politik wieder auf Wahlkampfreflexe reduziert hat, herrscht erneut Eiszeit zwischen der Supermacht und der bankrotten Karibikinsel.

Das bekommen vor allem Leute wie Eloy Gutiérrez Menoyo zu spüren. Drei Tage lang war Menoyo – einst Weggefährte Fidels im Kampf gegen Batista, dann Guerillakämpfer gegen Castros Regime und heute prominentester exilkubanischer Vertreter eines Dialog- Kurses – in Washington, um Vertretern der Clinton-Administration und Kongreßmitgliedern ihre Zustimmung zur Gesetzesvorlage von Jesse Helms auszureden. Ohne Erfolg. Die Marathongespräche und der Klimawechsel zwischen dem schwül-heißen Miami und dem schneebedeckten Washington haben seine Stimmbänder fast ruiniert. Das hindert ihn allerdings weder am Kettenrauchen noch am Reden.

Castro glaubt er zu durchschauen, nur US-amerikanische Politiker und Präsidenten versteht er immer noch nicht. „Keine Logik, keine langfristige Strategie, keine Vision“, krächzt er zwischen zwei Zügen an seiner „Winston“- Zigarette. Daß der Präsident einer Supermacht seine Außenpolitik einem Wahlkampfmanöver unterordnet, will ihm immer noch nicht in den Sinn.

Hinter seinem Engagement für einen Verhandlungskurs stecken zweifellos eigene politische Ambitionen für ein Kuba nach Castro. Dahinter steckt aber vor allem das Bestreben, zu verhindern, was er am meisten fürchtet: Die Eskalation der Krise in Kuba bis zum Bürgerkrieg – angefacht von militanten Exilkubanern wie José Basulto. Daß Basulto die vier jungen Besatzungsmitglieder der beiden Cessnas absichtlich dem Risiko eines Abschusses durch die kubanische Luftwaffe ausgesetzt hat, steht für Menoyo außer Frage.

Profiteure dieses Opfers sind in Menoyos Augen nicht nur die Basultos und Mas Canosas, sondern auch Fidel Castro. „Für Castro ist die Konfrontation mit den USA das Wasser, in dem er schwimmen kann wie ein Fisch. Die Konfrontation durch Entspannung abzulösen hieße, den Stöpsel zu ziehen.“

Weil ohne Castro aber kein gewaltloser Umwälzungsprozeß in Kuba vorstellbar ist, will Menoyo „Fidel den Spielraum lassen, sich selbst als Initiator eines Reformprozesses zu inszenieren. Entsprechende Signale gibt er ja schon seit längerem. Aber man nimmt sie hier einfach nicht wahr.“