■ Den hochfliegenden Plänen der Medienmultis steht bisher das Medienrecht im Wege – das ist aber nicht mehr lange so
: Darf's ein bißchen mehr sein?

Tiefgreifende Veränderungen des Fernsehmarkts der Zukunft haben seit Monaten zu heftigen Debatten geführt. Auf seiten der Medienindustrie verhandelte jeder mit jedem, auf seiten der Politik die Ministerpräsidenten untereinander. Überall und über alles wurde geredet, verhandelt, gefeilscht – ergebnislos. Allerorten gab es nur Ankündigungen, aber keine Taten. Die letzte Woche nun brachte Ergebnisse. Vorweg: Die Industrie kann Handfestes vorweisen, die Politik kann dies nur scheinbar.

Ergebnisse auf seiten der Medienindustrie: Auf dem deutschen Markt wird es demnächst zwei konkurrierende elektronische Geräte geben, die für den Empfang der angekündigten Programmpakete unverzichtbar sind. Die eine Anbietergruppe unter Führung des Medienkonzerns Kirch, die andere unter Führung von Bertelsmann.

Die zweite Nachricht hat es ebenfalls in sich: Auf dem digitalen Fernsehmarkt wird Bertelsmann, Deutschlands mit Abstand größter Medienkonzern, künftig mit Canal Plus aus Frankreich und dessen wichtigstem Kapitaleigner, der Gruppe Havas, sowie mit dem britischen Programmanbieter BSkyB zusammenarbeiten, der von dem erzkonservativen Medienmulti Murdoch geführt wird. Das heißt, vier der größten Medienkonzerne Europas, zugleich jeweils die wichtigsten Pay-TV-Anbieter in ihren Ländern, haben sich zusammengetan. Das ist keine der beinahe schon üblichen Elefantenhochzeiten, sondern eine Beziehungskiste von polygamen Grenzenlosen. Das Motto des Deals lautet: Ohne Konkurrenz läßt sich's besser leben und vor allem auch besser verdienen.

Nur einer durchkreuzt diese Konkurrenzvermeidungsstrategien: Leo Kirch, Film- und Fernsehgewaltiger aus München. Wäre Kirch nicht ein solch skurriler Dunkelmann, müßte man ihm direkt danken. Auch Leo Kirch will also in den Himmel, mit einem dicken Paket neuer Fernsehprogramme.

Bislang freilich stand den tollen Plänen der Industrie das geltende Medienrecht im Weg – das ist aber nicht mehr lange so. Die Duplizität der Ereignisse in der vorigen Woche hatte Symbolcharakter: Einen Tag nach der Industrie einigten sich auch die Ministerpräsidenten. Ihr Ziel ist es, das Rundfunkrecht mit einem novellierten Rundfunkstaatsvertrag der künftigen Medienlandschaft anzupassen. Das ist ihnen weitgehend gelungen.

Bislang durften sich Medienunternehmen an „nur“ drei meinungsrelevanten Fernsehprogrammen beteiligen. Künftig dürfen sie sich nicht nur beteiligen, sondern Fernsehsender vollständig besitzen, und zwar nicht länger maximal drei, sondern so viele, wie sie wollen. Nach dem Motto „Darf's ein bißchen mehr sein?“ haben die Ministerpräsidenten den digitalen Fernsehhimmel geöffnet.

Zur Beruhigung jener, die die verfassungsrechtlich geforderte Vielfaltsicherung immer noch ernst nehmen, wurde das Maß der erlaubten Konzentration scheinbar begrenzt. Kein Anbieter darf vor seinen zahlreichen Programmen demnächst mehr als 30 Prozent aller Zuschauer versammeln. Überschreitet er diesen Marktanteil, wird er bestraft: Er bekommt dann keine Lizenz für weitere Programme.

In der Praxis wird diese Marktanteilsgrenze die Industrie nicht behindern. Da bei den Berechnungen des Marktanteils auch die öffentlich-rechtlichen Programme (derzeitiger Gesamtanteil etwa 30 Prozent) berücksichtigt werden, die Lukrativität des deutschen Milliardenmarktes zudem auch ausländische Anbieter anzieht, wird die Obergrenze wohl kein Anbieter erreichen. Und genau das ist das Ziel der Politik. Die Latte wurde bewußt so hoch gelegt, daß alle darunter durchlaufen können, selbst die ganz Großen.

In den wichtigen Standortländern Nordrhein-Westfalen und Bayern hatten die Medienpolitiker natürlich zuvor errechnet, was Bertelsmann und Kirch „zuzumuten“ ist. Beide Konzerne sollten die Grenzen des Wachstums nicht schon erreichen, bevor die digitale Fernsehzukunft richtig begonnen hat. Das war und ist nicht beabsichtigt.

Bei der Güterabwägung zwischen Wirtschaftsförderung und Medienpolitik als Sicherung einer medialen Vielfalt ging letztere baden. Der Deutsche Journalisten- Verband sieht in den Bemühungen der Medienpolitiker „eine deregulierte Expansionschance für die kommerziellen Medien“ – Treffer, genau darum ging es.

Allein in zwei Punkten kann der Rundfunkstaatsvertrag die derzeitige Kontrolle verbessern. Nach zähem Streit akzeptierte auch Bayerns Ministerpräsident Stoiber eine Angehörigenklausel. Danach soll künftig zumindest geprüft werden, ob nicht Anteile an Fernsehsendern, die auf Familienmitglieder aufgeteilt wurden, zusammen veranlagt werden sollen. Eine „Lex Kirch“ sozusagen, die Vater und Sohn nun auch medienrechtlich wieder zusammenführt. Ob eine solche gemeinsame Veranlagung in der Kontrollpraxis tatsächlich greift, bleibt freilich abzuwarten. Wichtig ist auch die Neuerung, den Fernsehmarkt nicht mehr isoliert zu sehen, sondern den gesamten Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung zu addieren. Berücksichtigt werden sollen also auch Hörfunkprogramme, Zeitungen und Zeitschriften aus demselben Haus.

Das ist richtig und wichtig, denn die Konzentration überschreitet längst die Grenzen einzelner Medienmärkte. Zudem haben wir es bei den Printmedien seit Jahren mit hohen Konzentrationsraten zu tun. Einige Beispiele: Von den verkauften Tageszeitungen stammt fast jedes vierte Exemplar aus dem Springer Verlag. Bei den Publikumszeitschriften sind die Raten noch höher: Jede dritte verkaufte Zeitschrift kommt aus dem Heinrich Bauer Verlag. Die vier großen Verlage Bauer, Springer, Burda und Gruner + Jahr erreichen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln.

Von Anfang an haben die Großverlage auch die Entwicklung des Privatfunks mitgetragen, haben sich – freilich in deutlich unterschiedlichem Maß – an Hörfunk- und Fernsehstationen beteiligt. Ihr ohnehin stattlicher publizistischer Einfluß ist damit noch einmal kräftig gewachsen.

Wie multimediale Vorschriften in die Praxis umgesetzt werden sollen, haben die Politiker freilich offengelassen. Demnächst dürfen sich die Kontrolleure den Kopf darüber zerbrechen, ob eine Auflage von hunderttausend Tageszeitungen genau so gewichtig ist wie hunderttausend Zeitschriften und ob Beteiligungen im Hörfunk genauso bewertet werden sollen wie Beteiligungen im Fernsehen. Die Staatskanzleien haben den Kontrolleuren keine Hilfen an die Hand gegeben. Wenn die Kontrolleure demnächst erneut Schiffbruch erleiden, steht die Politik – womöglich feixend – am Ufer.

Schon in der Vergangenheit sind die Landespolitiker mit unzureichendem Recht ganz gut gefahren. Die Prügel für die wuchernde Konzentration wurde bei den Landesmedienanstalten abgeladen. Künftig könnte es genauso werden. Horst Röper