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Rohstoffe aus alten Telefonen

Am Harzrand steht Deutschlands größte Recyclinganlage für Elektronikschrott. Sie ist bisher allerdings ein Zuschußgeschäft  ■ Aus Harlingerode Jürgen Voges

Eine neue, blau-weiße Halle steht gleich neben schmutzigroten Backsteingebäuden, in denen einst die Werkstätten der Preussag- Zinkhütte untergebracht waren. Auch die grasbewachsenen Hügel ringsum, die Abraumhalden, stammen von der Hütte. Der Boden hier zwischen Goslar und Bad Harzburg ist stark schwermetallbelastet. Doch die Elektrocycling GmbH im Goslarer Stadtteil Harlingerode will mit dieser Tradition brechen und dafür sorgen, daß schwermetallbelastete Produkte recycelt werden. Vor einem halben Jahr ist Deutschlands größte Verwertungsanlage für Elektronikschrott in Betrieb gegangen.

Vor der Stirnseite der Halle lagern sechs Meter hohe Stapel von Metallkkörben. Sie sind voll mit grauen und schwarzen Kunststoffteilen – Gehäuse von Monitoren und Böden von Telefonen. Für Klaus Curtaz, den Geschäftsführer der Elektrocycling, ist das alles „reines ABS“. Aus dem Kunstoff „Acrylbutadienstyrol“ werden Gehäuse von Computermonitoren, Druckern und Telefonen gefertigt. Kein Kabelstück darf am Ende der Sortierung noch darin versteckt sein. „Ein halbes Gramm falscher Kunstoff im ABS können fünf bis zehn Tonnen versauen. Der Kunststoff ist dann nicht mehr spritzfähig“, erklärt der etwa vierzigjährige Curtaz in hörbar schwäbischem Tonfall.

In den auf 20.000 Jahrestonnen ausgelegten Recyclingbetrieb haben die vier Eigentümer, die Preussag-Noell GmbH, die Alcatel SEL AG, die Deutsche Telekom und die Siemens AG runde 30 Millionen Mark investiert. Dennoch bleibt hier vieles Handarbeit. Von den 100 Elektrocycling-Mitarbeitern zerlegen 60 ausrangierte Telefone, Modems und BTX-Geräte. Dabei sind Schraubenzieher und Zange die wichtigsten Werkzeuge.

BTX-Geräte und Modems laufen im Kreis auf einem Band, um das ein halbes Dutzend Frauen und Männer sitzen. Sie öffnen die Gehäuse und werfen Kabel und Platinen durch Schächte in Gitterboxen, die ein Stockwerk tiefer stehen. Auch die Bildröhren werden demontiert. Nebenan reißen eine Frau und ein Mann fortlaufend Hörer und Kabel von Telefonen ab. Ein paar Meter weiter brechen zwei Arbeiter Widerstände und Kondensatoren von Platinen; sie enthalten PCB und Schwermetalle. „Hier muß man Bauteile aus der ganzen Welt auf Anhieb erkennen“, betont Geschäftsführer Curtaz. Einfachere Demontagearbeiten werden hingegen „nach draußen an Behindertenwerkstätten“ vergeben. 200 Leute sind dort beschäftigt.

Teilautomatisiert ist in Harlingerode immerhin die Bildröhrenaufbereitung: Zwar schneiden Arbeiter mit einem Heizdraht die beiden Glashälften noch per Hand auseinander. Doch anschließend befreien zwei Sandstrahlanlagen die kiloschweren Röhren von den wenigen Gramm Schwermetallbeschichtung. Jetzt sind die milchigweißen Röhrenbehälter für die Herstellung von Glasbausteinen oder als Zuschlagstoff in Bleihütten zu gebrauchen. Neue Bildröhren kann man damit hingegen nicht herstellen, weil die chemische Zusammensetzung schwankt – Bildröhren werden aus verschiedenen Glassorten produziert.

Platinen, Gehäuse, alte Schaltanlagen der Telekom – das meiste endet aber auch bei der Elektrocycling GmbH in der Schredderanlage. Auch die Telefone, bei denen Schnüre, Klingeln, Tastaturen, Wählscheiben und Mikrophone für den Export nach Rußland oder Lateinamerika abmontiert sind, werden kleingemahlen. Die verschiedenen Schredder können Kunststoffe, eisenhaltige Metalle und Nichteisenmetall trennen. Elektronikschrott wird beim ersten Durchgang in etwa walnußgroße Stücke gehäckselt und im zweiten Durchgang dann auf Pfenniggröße verkleinert. Nach dem dritten Schredder bleiben winzige Körnchen zurück. Bis zu 97 Prozent Kupfer und etwas Edelmetall enthält dieser braune Sand, der früher einmal ein mit Relais bestückter Schaltschrank der Telekom war.

Nur wenn gerade diese alten, noch nicht digitalisierten Telefonvermittlungsstellen durch den Schredder wandern, lassen sich die Betriebskosten der Anlage allein durch den Verkauf der Recyclingprodukte abdecken. „Die Transportkosten fallen aber auch dann noch zusätzlich an“, klagt Geschäftsfüher Curtaz. Ansonsten kostet bei ihm die Verwertung von einer Tonne Elektronikschrott zwischen eintausend und viertausend Mark. Der Preis für die Abnahme richtet sich nach Arbeitsaufwand und dem Wert der Recyclingstoffe. Bei nicht allzu alten PCs ist der Wert der wiederverwendbaren Teile oft recht hoch, versichert Curtaz. Doch Computer machen bisher nur runde drei Prozent des bei ihm verwerteten Altmaterials aus. 50 Mark stellt er hingegen für die Annahme eines einzelnen alten Fernsehers in Rechnung.

In der Anlage in Goslar lassen sich aus einer Tonne Elektronikschrott über sechshundert Kilo Rohstoffe zurückgewinnen. Übrig von den Monitoren, Telefonen und Computern bleiben am Ende im Schnitt rund 32 Prozent Eisen, 13 Prozent vor allem aus Kupfer bestehendes Nichteisenmetall, 6 Prozent Glas, 3 Prozent Aluminium, 2 Prozent Ersatzteile umd immerhin noch 9 Prozent ABS, das wieder in der Gehäuseproduktion einsetzbar ist.

Auch Verbrennung gilt hier als Recycling

Ein gutes Viertel des Recyclingstoffs besteht aus verschiedensten Kunstoffen und wird der sogenannten thermischen Verwertung zugeführt. Im Klartext: Es landet im Müllofen. Die Elektrocycling GmbH kommt jedoch zu dem Schluß, daß lediglich vier Prozent des eingesammelten Elektronikschrotts schließlich als Haus- oder Sondermüll wieder durchs Werkstor rausrollt. Natürlich will auch Curtaz gerade aus den Plastikteilen noch mehr Rohstoff herausholen. Weitere Abtrennverfahren für andere Kunstoffe seien in Erprobung, versichert er.

Doch eigentlich drücken ihn andere Sorgen. Ständig spricht er über Billigentsorger, die das Kupfer aus den Geräten auschlachten und den Rest auf dunklen Wegen verschwinden lassen. Konkurrenzfähig ist die Elektrocycling GmbH nämlich mit ihren Preisen von Tausenden von Mark pro Tonne keineswegs. Sie lebt zu 90 Prozent von Aufträgen ihrer Eigentümer, vor allem von der Telekom. Und noch etwas anderes weiß der Geschäftsführer: „Wenn keine Elektronikschrottverordnung kommt, wenn es auf Dauer keine Pflicht zur Verwertung der Geräte gibt, dann wird hier eines Tages wieder dichtgemacht.“

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