Gewalt von Männern gegen Schwule nimmt zu

■ Immer häufiger werden Schwule auf der Straße angepöbelt oder verletzt

Bonn (taz) – Sie haben gewagt, Hand in Hand zu gehen, und das war Provokation genug: C. und D. sind auf dem Weg in eine Kneipe, als sie in der Altonaer Fußgängerzone von einer Gruppe Jugendlicher brutal überfallen werden. Ohne Vorwarnung schlagen und treten die sechs ungefähr 18jährigen auf die beiden ein, bis sie blutend am Boden liegen. Die ganze Zeit über fällt kein Wort, erst zum Schluß schreien die Täter ihren Haß heraus: „Scheiß Schwule.“

Was C. und D. erlebt haben, ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: Gewalt gegen Schwule ist alltäglich, jährlich sterben etwa 30 an den Folgen. Die Angriffe werden immer brutaler und von immer jüngeren Tätern begangen. Zu diesem Ergebnis kommen die Leiter der Schwulen Überalltelefone in Berlin, Köln und München in ihrer 95iger Jahresbilanz.

Jeder dritte bis vierte Schwule wird einmal in seinem Leben Opfer einer Gewalttat, die aus schwulenfeindlichen Motiven begangen wird. Das ist wesentlich häufiger als der Bevölkerungsdurchschnitt. Der Sprecher des Schwulenverbandes, Volker Beck, rief Bund und Länder zu einem „Aktionsprogramm zur Bekämpfung antischwuler Gewalt“ auf.

Zentral sei die Förderung „Schwuler Überfalltelefone“. Das Projekt in Berlin stehe vor dem Aus, und in Hamburg gebe es erst gar keines, beklagte er. Überfalltelefone beraten die Opfer psychologisch und begleiten sie zu Polizei und Gerichtsverhandlungen. Dadurch sei es gelungen, das Dunkelfeld aufzuhellen, so Beck. Antischwule Gewalt sei auch deshalb so häufig, weil sie als ungefährlich gelte. Nach Schätzungen von Experten zeigen 80 bis 90 Prozent der Opfer die Tat nicht an.

Es sei nötig, das Verhältnis von Schwulen und Polizisten zu verbessern. Wie in Berlin und Köln sollte es in den Polizeipräsidien Schwulenbeauftragte geben, die kontinuierlich als Ansprechpartner für die Schwulen da sind. Außerdem müsse das Thema „Gewalt gegen Schwule“ in die Polizeiaus- und -weiterbildung integriert werden. Gefordert sei ebenfalls Bundesjugendministerin Claudia Nolte. „Schule und Jugendarbeit hat völlig versagt“, sagte Beck. Die Täter seien meist Gruppen von männlichen Jugendlichen im Alter von 14, die Überfälle als „Männlichkeitsritual“ betrachteten.

1995 haben sich 378 angegriffene Schwule bei den vorhandenen Überfalltelefonen gemeldet. Das waren 50 mehr als im Jahr zuvor. Die Delikte reichen von schwerer Körperverletzung über Raubüberfälle bis zu Psychoterror und Erpressung.

Die meisten Überfälle wurden an Treffpunkten von Schwulen begangen, ein Drittel fand auf offener Straße statt. Simone Bartholomae