■ Statt um taiwanesische Wahlen geht es im Südchinesischen Meer inzwischen um einen Großmachtkonflikt. Dabei haben Chinas Drohgebärden eine lange Geschichte, und den USA geht es letztlich um etwas anderes: um ihre eigene Stärke.
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Statt um taiwanesische Wahlen geht es im Südchinesischen Meer inzwischen um einen Großmachtkonflikt. Dabei haben Chinas Drohgebärden eine lange Geschichte, und den USA geht es letztlich um etwas anderes: um ihre eigene Stärke.

Kampf um die Weltmacht im Pazifik

Zunächst die gute Nachricht: Europäer werden aller Voraussicht nach das neue chinesisch-südkoreanische Regionalflugzeug bauen und damit die Chance bekommen, auf dem wichtigsten Wachstumsmarkt der Flugbranche Fuß zu fassen. Das meldete am Sonntag das regierungstreue chinesische Wirtschaftsblatt Business Weekly. Ein Topmanager des zuständigen chinesischen Flugzeugbauers sagte, daß der US-amerikanische Konkurrent Boeing vermutlich ausscheide, weil sich die allgemeinen Handelsbeziehungen zu Europa besser entwickelten als zu den USA. Nicht auszuschließen ist nach den Berichten aus Peking, daß die europäischen Flugzeughersteller damit unmittelbar von der aktuellen Taiwan-Krise profitieren. So lauten die Regeln der Globalisierung: Wenn zwei – in diesem Fall Amerika und Asien – sich streiten, freut sich der Dritte, Europa.

Kalter Krieg zwischen China und dem Westen?

Nun die schlechte Nachricht: Noch bevor die chinesische Volksarmee heute den angekündigten Startschuß für ihre ersten Raketentests mit scharfer Munition vor der taiwanesischen Küste geben konnte, fielen gestern in ganz Asien die Börsenkurse. In Hongkong sackte der Aktienindex um 7,3 Prozent, in Singapur und Bangkok um 3,5 Prozent, in Taipeh um 2 Prozent und in Tokio immer noch um 1,8 Prozent. Noch im Tagesablauf drohten sich die Kursverluste in Asien an den europäischen Börsen fortzusetzen.

Als Ursache für das Börsentief in aller Welt gilt bei vielen Investoren der vor der Küste Taiwans geplatzte Traum vom chinesischen Wirtschaftswunder. Die Japan Times prophezeite bereits einen „neuen Kalten Krieg“ zwischen China und dem Westen, der dem Zeitalter der Globalisierung ein Ende setzen könnte.

Derartig weitgehende Interpretationen bemühte sich der chinesische Außenminister Qian Qichen gestern auszuräumen: „Es ist etwas Alltägliches, wenn US-Kriegsschiffe auf hoher See operieren“, sagte Qian zur Verlegung des US- amerikanischen Flugzeugträgers „Independence“ in die Nähe von Taiwan. Ausdrücklich vermied er es, die Vereinigten Staaten direkt zu kritisieren. Er erinnerte lediglich daran, daß Taiwan „kein Schutzgebiet der USA“, sondern ein untrennbarer Teil Chinas sei. Das sollte reichen, um die Fortsetzung der chinesischen Manöver zwischen Taiwan und dem Festland zu erklären und die aufgeregten Börsengeister zu beruhigen. Wollte Peking damit nach Tagen der militärischen Eskalation schon eine Friedensbotschaft entsenden?

Noch hat der Krieg um Taiwan nicht begonnen. Daß es auch weniger erhitzte Reaktionen auf die Krise gibt, bezeugten gestern die japanischen Parlamentsabgeordneten: Aufgrund eines innenpolitischen Streits boykottierte die Opposition alle Beratungen, und eine Krisensitzung des außenpolitischen Ausschusses wurde kurzerhand abgesagt.

Für altgediente Konfrontationspolitiker im Pentagon und ähnlichen westlichen Ministerien mochte das japanische Verhalten kaum das adäquate Beispiel geben. Für sie hat die chinesische Politik im Südchinesischen Meer eine neue Qualität bekommen. Denn der seit Monaten sich abzeichnende Showdown zwischen Peking und Taipeh vor den ersten freien taiwanesischen Präsidentschaftswahlen am 23. März hat eine so nicht erwartete Wende genommen.

Westliche Diplomaten hatten damit gerechnet, daß die Volksrepublik alles tun werde, um die taiwanesischen Wähler auf ihre Seite zu bringen und die Stimme gegen dem amtierenden Präsidenten Lee Teng-hui abzugeben. Weil es sich zudem um historische Wahlen handelt, bei denen Chinesen erstmals in demokratischer Abstimmung ihren Führer bestimmen, schienen Pekings Gesten aus westlicher Sicht langfristig kalkuliert und berechenbar zu sein. Davon kann inzwischen allerdings keine Rede mehr sein.

Washington fürchtet ein neues Machtverhältnis

Nach Chinas aggressivem Auftreten vor der taiwanesischen Küste liefern sich die Wortgefechte Peking und Washington – als ginge es nicht um die taiwanesischen Wahlen, sondern um einen Großmachtkonflikt. „Fahrlässig und unnötig“, hatte US-Außenminister Warren Christopher die chinesischen Raketenmanöver vom Wochenende genannt.

Die wirklichen Ängste in Washington stammen allerdings vielmehr daher, daß die Taiwan-Krise der erste Test für ein neues Machtverhältnis im Pazifik ist. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Rolle Chinas drastisch verändert. Das Wohl weiter Teile des asiatischen Raums hängt inzwischen von der Teilhabe am chinesischen Wirtschaftsraum ab. „Die Zeiten haben sich geändert“, kommentiert auch Jesper Koll, Chefökonom der US-Bank J. P. Morgan, in Tokio die Aktienkurse vom Montag. „An den Börsen herrscht ein großes Bangen. Japan und die Pazifikflotte galten früher als unsinkbare Flugzeugträger der Amerikaner im Kampf gegen den Kommunismus. Das gilt heute nicht mehr.“

Solche Ansichten dürften die Pekinger Machthaber freilich nur kurze Zeit trösten. Noch ist der neue Glanz ihres Weltreiches nicht auf solidem Fundament gebaut. Was etwa, wenn den europäischen Flugzeugbauern demnächst aus politischen Gründen die Kooperation mit China verboten wird? Man kann also weiter darüber brüten, ob Europa der lachende Dritte ist. Georg Blume, Tokio