Pekingoper vor Taiwan?

■ Raketensalven sollen Status quo sichern

Großer Militäraufmarsch in der Meerenge von Taiwan. Raketen aus Richtung Volksrepublik China schlagen seit Tagen vor der Küste der aus Pekinger Sicht abtrünnigen Insel ein – alles nur eine Übung, natürlich. Taiwans Armee befindet sich im Alarmzustand, und nun kreuzen auch noch zwei US- Flugzeugträgerverbände auf.

In krassem Gegensatz dazu stehen die Stellungnahmen der beteiligten Spitzenpolitiker. Pekings Außenminister Qian findet die Aktivitäten der US- Navy völlig „alltäglich“, die eigenen Raketensalven und Manöver mit scharfer Munition wohl auch. Die US-Administration immerhin droht mit „schwerwiegenden Konsequenzen“ im Angriffsfall, hat aber überhaupt „keine Hinweise“ darauf, daß es dazu kommt. Warum dann die ganze Oper?

Mit seiner ersten demokratischen Präsidentenwahl am 23. März bringt Taiwan – „Republik China“, wie es sich selbst nennt – den Status quo in der Region durcheinander. Die bisherige Einparteienherrschaft der antikommunistischen Kuomintang und ihr Alleinvertretungsanspruch für ganz China, gedeckt von US-Sicherheitsgarantien, hatte seit 1949 dafür gesorgt, daß eine, wenn auch gefährliche Stabilität herrschte. Daran änderte auch Washingtons Beschluß von 1979 nichts, nunmehr die Volksrepublik als das „richtige“ China anzuerkennen.

Seitdem die Kuomintang langsam an Altersschwäche stirbt, will die neue Politikergeneration auf der Insel auch politisch weltweit mitmischen. Auf der Liste der Industrienationen steht man ja schon ganz weit oben. Daß diese Forderung nach den Wahlen auch demokratisch legitimiert sein könnte, sorgt in Peking für Kopfzerbrechen. Denn gegenüber gewählten Politikern eine Lösung nach der Formel „Ein China, zwei Systeme“ durchzusetzen, dürfte sich als wesentlich komplizierter erweisen als in Hongkong, wo eine Kolonialverwaltung letztendlich alle demokratischen Elemente aushebelt.

Selbst wenn die Führung der Volksrepublik auf dem Tiananmen-Platz bewiesen hat, daß Gewalt zu ihrem politischen Repertoire zählt, setzt sie wohl vor allem darauf, mit Drohgebärden eine abschreckende Wirkung auf Taiwans Wähler zu erzielen. Das riskante Spiel wäre gewonnen, wenn eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans abgewendet werden kann. Thomas Ruttig