Trau keinem ohne Trauschein

Wohnungsbauverein betätigt sich als sittenwidriger Heiratskuppler: Ein Pärchen soll schneller heiraten, damit es eine Wohnung bekommt  ■ Von Barbara Bollwahn

Clarissa Schubert* und Harald Greiner* lieben sich. Seit vier Jahren leben sie zusammen. An heiraten haben sie auch schon gedacht. Im nächsten Jahr sollen die Hochzeitsglocken läuten. Bis es soweit ist, wollen sich die 27jährige und der 28jährige in einer größeren Wohnung einrichten.

Doch bevor sie die neue Wohnung beziehen können, hängt der Haussegen schief. Der „Wohnungsbauverein Neukölln“, in dem das Paar seit vielen Jahren Mitglied ist, hat ihnen zwar ab kommendem April eine Wohnung zugewiesen. Doch um in diesen vier Wänden wohnen zu dürfen, sollen Clarissa Schubert und Harald Greiner den Bund fürs Leben schneller schließen als geplant. Das Schreiben, das ihnen die Zuweisung der Wohnung bestätigt, endet mit dem Zusatz: „Die Zuteilung der Wohnung erfolgt unter der Bedingung, daß Sie bis 30. Juni die Ehe schließen.“

Lothar Gützkow vom Wohnungsbauverein sieht sich im Recht. Die Satzung schreibe eine „familiengerechte Vergabe“ der Wohnungen vor. „Das beinhaltet den Trauschein“, stellt der Mitarbeiter klar. „Auch wenn die Ehe für bestimmte Kreise unmodern geworden ist“, halte er am „bindenden Faktor“ der Ehe fest. Schließlich gelte es, „Alibifreundschaften einen Riegel vorzuschieben“. Gützkow meint, daß auch der Nachweis eines längeren Zusammenlebens per polizeilicher Anmeldung als Sicherheit ausreiche. Doch daß bei zwei Bewerberpaaren jenes mit Trauschein die besseren Karten hat, daran läßt er keinen Zweifel.

Rechtsanwalt Frank Maciejewski vom Mieterverein bezeichnet die Vorgabe des Neuköllner Wohnungsbauvereins als „sittenwidrig“. Der Anspruch der familiengerechten Vergabe sollte neu definiert werden, so der Anwalt. Gerade in Berlin lebten viele Paare ohne Trauschein. „Dieser gesellschaftlichen Realität sollte Rechnung getragen werden.“

Clarissa Schubert indes ist trotz des ehelichen Damoklesschwertes in freudiger Erwartung. Nein, schwanger ist sie nicht. Es ist die bevorstehende Empfängnis des Mietvertrages. Sie und ihr Freund sind gespannt, ob der Heiratspassus darin auftaucht. Die ultimative Heiratsaufforderung des Vereins indes haben sie „zur Kenntnis genommen“. Denn heiraten wollen sie sowieso. Nur nicht zu dem vom Wohnungsbauverein vorgeschriebenen Termin. „Das schaffen wir nicht“, so Clarissa Schubert. Doch ganz wohl ist den beiden nicht in ihrer Haut. Denn das Zuweisungsschreiben des Vereins endet mit den Worten: „Wird die Bedingung nicht erfüllt, muß die Wohnung bis 30. Juni geräumt werden.“

* Namen geändert