Schwule immer häufiger Opfer von Gewalt

■ Mindestens 260 Homosexuelle wurden 1995 überfallen. Polizei wird sensibler

Die Polizei ist überrascht, als ihr die acht Kinder und Jugendlichen aus Ex-Jugoslawien sechs Raubtaten und eine gefährliche Körperverletzung gestehen. Denn von den ausschließlich schwulen Opfern im Volkspark Friedrichshain hat nur eines Anzeige erstattet. Aber vieles dieser Überfallserie ist symptomatisch für die zunehmende anti-schwule Gewalt in Berlin. Das berichteten am Montag Mitarbeiter des Schwulen Überfalltelefons, die in ihrem Jahresbericht 1995 insgesamt 260 Fälle anti-schwuler Gewalt zusammengetragen haben. Tendenz steigend.

90 Prozent der Taten werden von den Opfern gar nicht angezeigt, die meisten Überfälle geschehen an bekannten Schwulentreffs. Die Täter, die meist in Gruppen auftreten, werden immer jünger, sind meist Jugendliche und in jedem zweiten Fall – nach Angaben der Opfer – Ausländer. „Gerade das ist ganz erschreckend für uns“, sagte Projektleiter Bastian Finke. Zu erklären sei dies wohl mit den „kulturellen und sozialisationsbedingten Unterschieden“. Vor allem in südlichen Ländern hafte dem Mann noch die typische Macho-Rolle an, Homosexualität sei sehr verpönt.

Für ausländische wie deutsche Täter gleichermaßen aber würden Schwule als „leichte Beute“ gelten. Weil sich viele der schätzungsweise 300.000 Schwulen nicht offen zu ihrer Homosexualität bekannten, verzichteten sie auf eine Anzeige. Dazu komme die Angst vor Diskriminierungen auf der Polizeiwache. Fast jeder vierte, der sich an das Überfalltelefon wandte, wollte keinen Kontakt zur Polizei. Finke meinte aber, zunehmend auch diese Personen zu erreichen.

Die Zusammenarbeit mit der Polizei habe sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Nicht zuletzt deshalb, weil Mitarbeiter des Überfalltelefons gezielt Polizeischüler ausbilden, nehme das gegenseitige Verständnis zu. Oft sei die Polizei auf die Zusammenarbeit mit dem Überfalltelefon angewiesen, um mehr über die Vorfälle zu erfahren.

Umso unverständlicher sei es, wenn nun die Zuschüsse an das Telefon drastisch gekürzt werden sollen. Es sei die Rede davon, daß die gut 100.000 Mark bis auf die Hälfte zusammengestrichen werden sollen. Dabei sei der jetzige Zuschuß schon „geradezu lachhaft“, sagt Andreas Dietz. Je weniger Opferbetreuung und Präventionsarbeit geleistet werde, desto größer würden an anderer Stelle die Kosten. Auch Selbstjustiz sei dann nicht auszuschließen. Finke berichtete, daß vor kurzem Telefon-Mitarbeiter die Bildung einer schwulen Bürgerwehr „gerade noch“ verhindern konnten. Bernd Kastner