Ethnisches Kommunedenken

„Deutsch-Türkische Dialoge“: Integration türkischer Berliner wird schwieriger – weil sie sich auf ihre Herkunftskultur besinnen  ■ Von Kathi Seefeld

„Immer mehr Einwanderer aus der Türkei ziehen sich auf ihre Herkunftskultur zurück und tragen in der Bundesrepublik politisch-ethnische Spannungen aus den Herkunftsländern aus.“ Unter diesem Motto luden die Veranstalter der „Deutsch-Türkischen Dialoge“ im Kreuzberger Familiengarten am Montag abend zu ihrer vorletzten Veranstaltung. Vor einem Publikum von rund 50 Leuten diskutierten Immigrationsexperten über die Frage „ethnischer Identifikationen“ – oder, wie es ein junger Zuhörer auf den Punkt brachte: „Es stärkt unser Selbstbewußtsein, wenn wir in der Schule türkisch sprechen und wir freuen uns, wenn Deutschland beim Fußball verliert.“

Die wohl spannendsten Thesen des Abends vertrat dabei die russische Publizistin Sonja Margolina. Die „Identitätsrhetorik“ sei Kulturkampf vor allem auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen, konstatierte die vor zehn Jahren aus Moskau Eingewanderte. „Türkische Jungen und Mädchen sprechen in der Schule türkisch und schaden sich damit selbst.“ Die ständige Identitätsdiskussion führe dazu, daß Kinder besonders in den Familien in ihrer individuellen Entwicklung unterdrückt würden. Daß jeder dritte türkische Jugendliche die Schule heute ohne einen Abschluß verlasse, käme nicht von ungefähr, sagte Margolina weiter.

Identitätskämpfe seien auch ein politisches Kampfmittel. Die Publizistin machte kein Hehl daraus, daß Interessenvertretungen, die ethnische Fragen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellten, fundamentalistischen Erscheinungen Vorschub leisteten. Besonders den fehlenden Druck der Gesellschaft zur Integration machte Sonja Margolina verantwortlich für die zunehmende Ghettoisierung ethnischer Gruppen in der Bundesrepublik. Den Immigranten selbst warf sie vor, sich in Sachen Integration nicht ausreichend anzustrengen.

Riza Baran, Mitglied des Abgeordnetenhauses für die Bündnisgrünen, sagte, als er vor 33 Jahren nach Deutschland kam, habe seine Generation über Integration überhaupt noch nicht nachdenken müssen. Erst als er sich mit dem 1965 eingeführten Ausländergesetz die Frage stellen mußte, auch wieder nach Hause zu müssen, begann er, sich Gedanken über sein Verhältnis zu Deutschland zu machen.

„Anfangs hatte ich geglaubt, die Kulturen treffen aufeinander und werden etwas Neues produzieren. Doch so einfach ist das nicht“, sagte der Politiker. Integration wurde ein vielschichtiger, vor allem aber ein langwieriger Prozeß. Es beginnt damit, daß man die Sprache des Landes erlernt. „Dann folgt die strukturelle Integration. Eine Gleichstellung hinsichtlich Wohnraums, Bildung und Arbeit zum Beispiel.“ Schon die „soziale Integration“, das selbstverständliche Verkehren mit Deutschen, der Wunsch, bestimmte Leute kennenzulernen, brauche Zeit. Von der vierten Stufe, der „Identifikation, der Aneignung des Wertesystems der Aufnahmegesellschaft“, sind viele Einwanderer in Berlin heute vermutlich weiter entfernt als je zuvor.

Zugehörigkeit zu Gruppen würde heute wieder positiv belohnt, stellte der Bamberger Soziologe Friedrich Heckmann fest. Er warnte jedoch vor einer Polarisierung entlang ethnischer Grenzen und machte deutlich, daß mit Blick auf die Chancengleichheit für die nachfolgende Generation der Einwanderer ein ethnisches Kommunedenken nicht sinnvoll sei.

Gerade weil die Entwicklung offenbar vielschichtig und von außen schwierig zu beeinflussen ist, brachte dieser Abend nicht zuletzt für Kenan Kolat vom Bund der Türkischen Einwanderer den Vorwurf, seine Organisation würde sich in dieser Frage nicht eindeutig verhalten.

Je nach Opportunitätsgründen, so der Journalist Eberhard Seidel- Pielen, spiele der Bund seine Rolle aus. Der Bund, einerseits bekannt dafür, daß er eine schnelle Einbürgerung der Türken anstrebe, stricke andererseits dann aber auch an einer nationalen Identität.

„Wir spielen eine Doppelrolle“, bekannte Kolat. Diese hänge jedoch ganz davon ab, wie sie von außen empfunden werde. „Da sehen uns die einen eben als Türken. Die anderen als Deutsche.“

Die Gefahr, daß über Organisationen wie dem Bund Türkischer Einwanderer verstärkt Nationalismus aufkomme, sieht er allerdigs nicht.