DNA zum Klingen bringen

■ Techno-Mystik: Die The Shamen betreiben Acid-House synergetisch

„Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch davon nichts.“ Dieser Satz, der Kurt Weill zugeschrieben wird, müßte Colin Angus von The Shamen eigentlich gefallen. Hat er mit seinem Multimedia-Projekt doch stets über das eigentliche Musizieren hinausgehende Interessen verbunden. Mit ihrem Debut In Gorbatchev We Trust klemmten sie sich – das machten zu der Zeit nicht nur die unsäglichen Scorpions – hinter die Perestroika. Mit einem christlichen Dornenkranz versehen, zog das Konterfei des Ex-Generalsekretärs in die Popkultur ein. Die explizit politischen Texte marschierten ganz zeitgemäß auf einem experimentellen Electro-Pop.

Mit dem Aufkommen von Acid House schienen The Shamen dann aber eher zu sich zu finden und verfaßten mit „Move Any Mountain“ die Hymne zur Bewegung, gleichzeitig ihr Durchbruch. Die illegalen Raves der frühen 90er Jahre veränderten ihre Sichtweise offensichtlich nachhaltig: „Wir hatten die Kontrolle, die Macht. Darum geht es auch in „Move Any Mountain“: um eine große Anzahl von Leuten auf dem selben Vibe.“ Ein Vibe, der aber auch ihre Politisierung durch eine Art Techno-Mystik ersetzte, der sie bis heute nicht losläßt und sich bis in Songtitel wie dem desneuen Hits „Destination Eschaton“ nachverfolgen läßt.

Obwohl The Shamen immer wieder veritable Popstücke fertigten, waren sie doch stets zu wankelmütig für den Kultstatus von New Order und zu kritisch für die erfolgreiche Pop-Affirmation der Pet Shop Boys. Heute müssen sie zusammen mit Nachahmern wie Jesus Jones und Utah Saints die Sahne abschöpfen. Das wird sich auch mit der aktuellen LP Axis Mutatis kaum ändern, für die Victoria Wilson-James von Soul II Soul engagiert wurde.

Kaum Wunder nimmt es weiterhin, daß sich die technikbegeisterten Colin Angus und Mr. C neuerdings auf das Internet stürzen. „Wir haben uns immer als Informations-Band verstanden“, erklärt Colin Angus. „So war es nur natürlich, uns mit dem Internet zu verbinden.“ Eines der neuen Stücke, „S 2 Translation“, wurde gar mit einem neuartigen Softwareprogramm aufgenommen, das die menschliche DNA in elektronische Musik umwandeln soll. Mit dem eigentlich für Molekular-Biologen entwickelten Programm ließ Colin Angus seine DNA auf eine Datenbank herunterladen, um seine S2-Proteine hörbar zu machen. Die DNA klingt dann tatsächlich wie ein recht verstörender Trance-Track, dessen Soundschleifen sich um sich selbst drehen wie das Schaubild einer DNA in den Chemie-Büchern der Schulen.

Wie gesagt, The Shamen interessieren sich beileibe nicht nur fürs Musizieren mit Computern.

Volker Marquardt

Di, 19. März, 21 Uhr, Gaswerk