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■ QUERBILDCasino

Am Anfang und am Ende brennt die Leinwand in Zeitlupe. Ein Zündschlüssel wird gedreht und Feuer durchzuckt den roten Buick, bis die Brunst in Zeitlupe das Bild füllt und überquellen läßt. Dazwischen wird geredet und geredet und geredet. Aus dem OFF stellen Joe Pesci (mit nasaler Stimme) und Robert De Niro (mit gefühllosem Tonfall) jeden einzelnen Mitarbeiter der Firma vor, seinen Posten und seine tatsächliche Position in der Hierarchie. Die Firma ist, man ahnt es schon, die Mafia und aufgelistet wird so eine akribische Genealogie der Unterwelt. Der Film ist, auch das ahnt man schon, von Mean Streets und GoodFellas-Regisseur Martin Scorsese. Und das ist auch das Problem von Casino: seine Vorhersehbarkeit.

Martin Scorsese hat wieder einen Mafia-Film gedreht und wird so langsam zu seinem eigenen Genre, zum Wiederkäuer seiner eigenen filmischen Welt. Nicht nur über seine beiden Stamm-Schauspieler wird dieser Sequel-Charakter erzielt, in ihren Rollen stellen sie sich darüber hinaus in die Tradition von Mean Streets, wenn De Niro als „Ace“ sagt: „Das ist das letzte Mal, daß Typen von der Straße so weit kamen wie wir.“ Daß Sam „Ace“ Rothenstein von der Straße zum Casino-Manager in Las Vegas aufsteigen konnte, lag auch an der Zeit, den 70er Jahren, von Scorsese mit dem Ende der Wild-West-Ära verglichen, weil es die letzten Jahre vor den Gesetzesänderungen im Glücksspiel waren. Und dieses Jahrzehnt der scharf gebügelten Schlaghosen, der Seitenscheitel und der pastelligen Sakkos breitet Scorsese mit der ihm eigenen Akribie aus. Jedes einzelne Bild wirkt dabei bis zum Zerbersten aufgeladen und durchkomponiert. Detailgenau amalgamiert er Mode, Musik und Mobstertum zu einem farbstrotzenden Historienschinken, der die Wahrnehmung schlichtweg überfordert.

Dabei ist es nicht etwa so, daß viel passieren würde, Casino entwirft eher ein sich bedingendes Beziehungsgefüge mit offenen Enden, als einen geschlossenen Plot zu erzählen. Manchmal drohen Scorsese über all seinen Filmtricks sogar die Handlungsfäden zu entgleiten. Dann gibt es Iris-Blenden, unvermittelte Überblendungen und unwirklich angeleuchtete Hände beim Geldzählen. Mit solchen Tricks lenkt Scorsese einerseits die Augen der Zuschauer auf entlegene Regionen der Leinwand, andererseits schaffen diese Manierismen aber eine eigentümliche Distanz zur Handlung, eine Art Verfremdungseffekt im Kinosessel. Anders als andere Bilderstürmer wie Oliver Stone bemüht er dafür nicht etwa neue Medien und Formate, sondern verläßt sich auf die Filmtradition, von Martin Scorsese in der letztjährigen Filmgeschichte für die BBC aufgearbeitet. All das mag vielleicht bei Filmseminaristen Begeisterung auslösen, bei anderen aber eher Kopfweh und den schalen Beigeschmack der Perfektion. Volker Marquardt

Abaton, Autokino, City, Gloria, Hansa und Savoy

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