Kramladen der Kinematographie

■ Werktreue oder Aktualisierung, guter oder böser Bösewicht: Mit Othello und Richard III. kommen zwei unterschiedliche Herangehensweisen an Shakespeare ins Kino

Wann immer von Shakespeare-Verfilmungen die Rede war, reduzierte sich bis vor geraumer Zeit die Zahl der am häufigsten genannten Namen auf zwei: Laurence Olivier und Orson Welles. Die Unterschiede sind deutlich, die Parallelen noch mehr. Beide kamen vom Theater, inszenierten drei Adaptionen und spielten jeweils die Hauptrollen: Richard III., Hamlet, Henry V. versus Othello, Macbeth, Falstaff.

Nach einigen mehr oder weniger bedeutungslosen Versuchen anderer Regisseure kam dann das Wunderkind Kenneth Branagh. Der ließ jeden Respekt fahren und bediente sich hemmungslos im Kramladen der Kinematographie, so daß einem Hören und Sehen verging, mal verblüfft (Henry V.), mal entsetzt (Much Ado About Nothing). Die Karten waren jedenfalls neu gemischt, und man darf vermuten, daß Branagh als Wegbereiter fungiert, wenn jetzt mit Othello und Richard III. zeitgleich zwei weitere Verfilmungen ins Kino kommen.

Den behutsameren Ansatz wählt dabei der britische Regiedebütant Oliver Parker. Auf der Liebe zwischen Othello (Laurence Fishburne) und Desdemona (Irene Jacob) soll nach eigenem Bekenntnis der Schwerpunkt liegen, von ihrer Grundlage aus soll sich die Geschichte der Intrige des benachteiligten Gefolgsmannes Jago (Kenneth Branagh) entwickeln, soll Othellos Mißtrauen wachsen bis zum bekannt tragisch-blutigen Ende.

Zu Beginn gelingt das auch recht gut. Im leicht stilisierten, immer etwas zu hell und weich ausgeleuchteten Venedig sieht man die verhüllte Desdemona mit einer Gondel das Domizil ihres Gebliebten ansteuern. Doch diese Heimlichkeit bleibt nicht geheim, sie wird beobachtet, was den Keim der späteren Intrige ausmacht: Die Beziehung ist von Anfang an ein Spielball fremder Interessen.

Doch diese Fokussierung kann Parker nicht durchhalten – und das bestimmt nicht zum Nachteil des Films –, denn an Jago und am (das sei zähneknirschend eingestanden) brillanten Kenneth Branagh führt kein Weg vorbei. Mit ungleich größerem Vergnügen beobachtet man Jagos bösartige Intrigen, empfindet eine beinahe perverse Lust an der falschen Loyalität, hinter der verborgen er seine Fäden zieht. Auch die wenigen ungewöhnlichen filmischen Mittel werden auf Jago verwandt. Er spricht in die Kamera (im Stück steht dann „beiseite“), denkt in die Kamera und wird gelegentlich von der Musik übertönt, wenn es sich bei seinen Worten sowieso nur um Lügen handelt.

Keinen Zweifel daran, wer hier der Star ist, läßt Richard Loncraine in Richard III. Dem Tunichtgut gehört die Show. Ins England der dreißiger Jahre versetzt, mordet sich der verkrüppelte Richard, Herzog von Gloucester (Ian McKellen), durch die britische Thronfolge, nur die absolute Macht, sprich: den Thron als Kompensation für seine Leiden akzeptierend. So muß man jedenfalls vermuten, denn von seinem Leiden ist nicht viel zu sehen, höchstens zu hören. Eher beobachtet man hier einen Menschen, dessen höchstes Vergnügen nun einmal die Missetat ist. Wir folgen einer Art „London Chainsaw Massacre“, das Loncraine denn auch als opulente Horrorshow mit viel Sarkasmus und ziemlich splatternahen Effekten in Szene setzt.

Sollte irgendjemand der an dem Projekt Beteiligten eine Art Aktualisierung im Sinn gehabt haben, sie wäre – nicht ohne Grandezza – gescheitert. Die Zeit scheint willkürlich gewählt und die Assoziationen an den deutschen Faschismus etwas übereifrig herbeigezerrt. Der Verfremdungseffekt, den die zwar gekürzten, ansonsten aber getreu verwendeten Dialoge dem prallen Setting geben, ist allerdings nicht ohne. Daß der Film sich selbst nicht allzu ernst nimmt, macht im übrigen schon der hübsche Titelvorspann klar: Schüsse begleiten jeden einzelnen Buchstaben des Titels, bis blutrot der Titel die gesamte Cinemascope-Leinwand ausfüllt.

Wie man nun Shakespeare richtig verfilmt, klärt natürlich keiner der beiden Filme, aber eine Lehre kann gezogen werden: Mit einem guten Bösewicht hat man immerhin gute Karten. Sven Sonne