■ Soundcheck
: Gehört: Bratsch

Gehört: Bratsch Was an diesem Abend auf Kampnagel zu hören war, war neu, denn es sprengte den Rahmen dessen, was allgemein unter „Weltmusik“ verbucht wird. Bratsch heißen die Grenzgänger, die in einem älteren Programm noch unsäglich mit „Zigeunermusik aus dem Herzen Europas“ angekündigt wurden. Das trifft, wenn überhaupt, nur einen Teil ihres Repertoires. Zwar führte die Klangreise auch in die Welt der Sinti und Roma, doch dies dient den fünf Musikern oft nur als ein Ausgangspunkt. Was die Gruppe auszeichnet, ist das Einflechten anderer Spieltraditionen; so finden sich Elemente traditioneller jüdischer Klezmer und griechischer Musik. Dabei geht es keinesfalls nur um das Verbinden der verschiedenen Arten der Volksmusik. Ebenso häufig erwiesen sich die Musiker als hervorragende Interpreten der überlieferten Originale und natürlich ihrer selbstkomponierten Stücke.

Das klingt erst einmal gefährlich nach eklektizistischem Ausverkauf folkloristischer Musik, war aber alles andere als ein Verbraten, denn das Verbinden der verschiedenen Linien erfolgte in perfekter jazziger Improvisation. Damit trafen sich zwei Stile (Jazz und Folklore), die aus dem Stehgreifspiel leben. Dementsprechend befand sich ihre Musik im Übergangsstadium und klang nie peinlich nachgespielt, sondern immer in Veränderung, auf dem Weg permanenter Hinterfragung und Erweiterung. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die Musiker ihre Instrumente beherrschen. Wie sie sie beherrschen, war nicht nur aus dem Zusammenspiel herauszuhören, sondern auch aus den Soli und vor allem den berauschenden Duetten, an denen sich immer wieder in genialer Weise der Klarinettist Nano Peylet beteiligte.

Aber auch sonst war erstaunlich, welche Atmosphären aus der Kombination von Akkordeon, Violine, Gitarre, Baß und natürlich Stimme entstehen können. Melancholische Liebeslieder und traurige Weisen standen einer Tanzmusik, die sich am ehesten mit Lebensfreude umschreiben läßt, gegenüber. Schade nur, daß sich die Zuhörerschaft von diesem Taumel unbeeindruckt zeigte und erst bei dem Einfordern von Zugaben von dieser fast nicht mehr nachvollziehbaren Zurückhaltung abwich.

Marcus Peter