Visionen im sozialen Brennpunkt

■ Forum Wilhelmsburg entwirft Leitbild für „Stadtteilmanagement“ Von Stefanie Winter

Schon einmal haben die Wilhelmsburger Bürgerinnen und Bürger gezeigt, daß man zwar viel mit ihnen machen will, sie aber nicht alles mit sich machen lassen: Vor zwei Jahren wehrten sie sich erfolgreich gegen den in Neuhof geplanten Bau einer Müllverbrennungsanlage. In den Monaten nach den Protesten wurden positive Konzepte entwickelt und Ansprüche formuliert. Die örtlichen Initiativen haben sich im „Forum Wilhelmsburg“ zusammengeschlossen, das sich maßgeblich an der Entwicklung eines „Stadtteilmanagements“ beteiligt. Über dieses, andere gute Ideen und vor allem die noch immer drängenden sozialen Probleme der „Insel“ Wilhelmsburg informierten Beteiligte des Bürgerforums gestern die Presse – eineinhalb Wochen vor der siebten Einwohnerversammlung, zu der auch Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) sein Kommen angekündet hat.

Kleinster gemeinsamer Nenner der im Forum zusammengeschlossenen Gruppen sei, daß sämtliche Aktivitäten sich positiv auf Wilhelmsburg auswirken müssen, sagte Klaus Schäfer. Als Leitbild für ein „Stadtteilmanagement“ gelte die Vision von Wilhelmsburg als einem „lebendigen, lebenswerten und selbstbewußten Stadtteil“. Die Bezeichnung „Vision“ verdeutlicht derweil den starken Kontrast zu den realen Lebensumständen der Wilhelmsburger. Von knapp 50.000 BewohnerInnen waren im vergangenen Jahr 3400 arbeitslos; 8300 lebten von Sozialhilfe. Während das durchschnittliche Jahreseinkommen in Hamburg bei 80.000 Mark liegt, werden im Wilhelmsburger Durchschnitt lediglich 32.500 Mark jährlich verdient. Die Armutsquote im Stadtteil, rechnete Manuel Humburg vor, liege unter Berücksichtigung auch der nicht registrierten Armut bei rund 50 Prozent.

Angesichts dieser Situation gehörten die Kürzungen im Sozialbereich ebenso vom Tisch wie die Fehlbelegungsabgabe für Sozialwohnungen, forderte Liesel Amelingmeyer. „Eine Finanzierung nach dem Gieskannenprinzip reicht nicht – Wilhelmsburg braucht mehr.“ Mehr als die Hälfte der Wilhelmsburger Wohnungen verwaltet die SAGA. Jede Wohnung, die wegen Fehlbelegung frei wird, werde anschließend bezogen von Menschen, die noch ärmer sind, so Schäfer. Der Unterschied zu anderen Armutsgebieten wie Barmbek, St. Pauli Nord oder Altona liegt nach Auffassung von Ortsausschußmitglied Günter Glatz in der Insellage des Stadtteils, abgetrennt durch den Elbkorridor, und seine Nutzung überwiegend als Wirtschaftszone. Als Wohn- und Lebensort werde er kaum wahrgenommen. Zusätzlich werde Wilhelmsburg durch Bahngleise, Schnellstraßen und Gewerbeflächen weiter zergliedert, schilderte Schäfer. Für ein effektives Stadtteilmanagement, meint Amelingmeyer, sei eine dezentrale und „niederschwellige“ Betreuung der Einwohnerinnen und Einwohner – und mehr Eigenverantwortung bei deren Umsetzung – unverzichtbar.