Zäh wie Windhund

■ Der Regisseur und Einzelkämpfer Leo Hiemer bringt seine Filme selbst ins Kino, auch in Bremen: „Leni“ läuft ab heute im „Atlantis“

„Mir wissen nix, und mir sagen auch nix“, bekam Leo Hiemer zu hören, als er in der 1200-Seelen-Gemeinde Stiefenhofen/Allgäu recherchierte. Hiemer, Regisseur und Landeskind aus Maierhöfen/Westallgäu, war dem Schicksal Lenis auf der Spur. Leni kam 1938 auf die Welt und wuchs bei Pflegeeltern auf einem Hof auf. Bis sich im Dorf herumgesprochen hatte, daß Lenis Mutter Jüdin war. Und somit – die Nürnberger Gesetze von 1935 wollten es so – auch die Tochter. Leni soll weg. Ins Waisenheim nach München. Und von da aus nach Auschwitz. „Sie ist dann wegkommen“ hieß es, wenn Leo Hiemer „nach einer Aufwärmphase“ die Stiefenhofener doch noch dazu gebracht hat, Fotos von damals vom Speicher zu holen. Aber nur, weil er der Hiemer-Sohn war und seine Mutter hier jeder kannte. „Die Leute haben das nicht beim Namen genannt, damals wie heute, daß das Mädchen in Auschwitz umgebracht wurde“: Nur Nebel sei da gewesen.

Leo Hiemer, 41, hat sich durch den Nebel getastet und 1993 mit einer Handvoll Fördergremien im Rücken einen Spielfilm gedreht. Einen unsentimentalen Heimatfilm, denn, sagt Hiemer, „wenn es stimmt, daß der Heimatfilm der höchste Ausdruck der deutschen Verdrängungssehnsüchte ist, dann gibt es gar keinen verstörenderen Schauplatz für eine Holocaust-Geschichte als unsere Heimat.“ „Leni“ lief 1994 auf dem Saarbrücker Max Ophüls-Festival, Hiemer hat ihn nach Kanada verkauft, nach Australien. Er hat gute bis ausgezeichnete Kritiken bekommen, bloß einen Verleih hat er immer noch nicht. Hiemer macht alles selber, „zäh wie Windhund“.

So war es schon immer. Sein Schulfreund Klaus Gietinger pflanzte ihm den „Filmbazillus“ ein – ein unheilbares Leiden. Beide nahmen nach dem Abitur die Super 8-Kamera zur Hand, drehten Abendfüllendes über den Bauernkrieg, zogen von Stammtisch zu Jugendzentrum und zurück. So kriegt man auch sein Publikum: 10.000 Leute sollen es gewesen sein in 150 Vorführungen, mit zwei Kopien. Grund genug, eine eigene Firma zu gründen, die „Westallgäuer Filmproduktion“ entstand. Nicht zuletzt aus einer Art „Haßliebe“ ihrer Heimat gegenüber und mit dem Ziel, „unterhaltsames Kino mit Niveau“ zu machen. Die Kommilitonen aus den marxistischen Arbeitskreisen wollte man nicht ansprechen: „Die gucken sowieso am liebsten Donald Duck!“

Denn studiert hat Leo Hiemer auch noch nebenbei, „an der Massenuniversität Tübingen“. Deutsch und Geschichte auf Lehramt, „zur Sicherheit“. Zum Referendariat in Hamburg hätte er antreten können, bloß steckte er da mitten in den Vorbereitungen zu „Daheim sterben die Leut“. Mit einem Dokumentarfilm 200.000 Besucher ins Kino zu locken, ist ein kleines Wunder, das wohl möglich wurde auch dank der Kooperation mit dem Filmverleih „Kinowelt“, der damals „noch in den Anfängen steckte.“ Zwei Aufträge fürs Kleine Fernsehspiel folgten. Doch Hiemer will Kino machen, schätzt die emotionale Rücckopplung im Kinosaal mehr als anonyme Heerscharen vor den Fernsehschirmen. Und jongliert kunstvoll mit den Spielregeln der Filmförderungen Baden-Württemberg und Hessen, der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen und dem Kuratorium junger deutscher Film, um möglichst überall Geld abzugreifen, zäh wie Windhund. Baden-Württemberg war für Hiemer als Allgäuer kein Problem. Für Hessen mußte der Arbeitsmittelpunkt im Lande liegen, da traf es sich gut, daß Hiemer dort gerade ein paar Industriefilme gedreht hatte. Das Kuratorium fördert nur Erstlingsfilme, dummerweise war das bereits „Daheim sterben die Leut“. Trickreicher Ausweg: Hiemer war damals bloß Co-Regisseur, ein Sonderantrag half, den Geldhahn des Gremiums auch für „Leni“ zu öffnen. Schließlich NRW: Bei der Filmstiftung wurde „Leni“ als WDR-Projekt eingereicht. Der Vorschlag stand im Raum, grinst Hiemer, den Film in einer nordrhein-westfälischen Hügellandschaft anzusiedeln. 1,7 Millionen brachte er schließlich zusammen, Fernsehgelder inklusive.

Seinen offiziellen Kinostart erlebt „Leni“ trotzdem erst heute, zwei Jahre nach dem Dreh. „Jetzt machen wir's gescheit“, hat sich der Regisseur, von den Strapazen der Stammtisch-Tourneen im Ländle gezeichnet, gesagt. 100.000 Mark Verleihförderung hatte er inzwischen von der neu gegründeten Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg locker gemacht. Zehn Kopien hat er ziehen lassen und den Mono-Ton zu Dolby Stereo aufgemöbelt. Ein Muß angesichts der Frustration im Publikum, „wenn dir bei den Trailern der großen Filme die Töne um die Ohren fliegen und dann alles auf Transistorradioformat zusammenschrumpft, wenn dein Film beginnt“.

Die zehn Kopien hat Hiemer zum heutigen Starttermin bundesweit in zehn Städten untergebracht. In Bremen, bei der Studio Filmtheater GmbH (Gondel, Atlantis, Filmstudio) hat er letzte Woche vorgesprochen. Mit Erfolg. Bloß die Dolby Stereo-Version war vergebliche Liebesmüh'. Im „Atlantis“ gibt's bloß Mono-Ton.

Alexander Musik

Atlantis, tägl. 20.30 Uhr, Fr., Sa. auch 23.00 Uhr