Sprayer sitzt in Untersuchungshaft

Staatsanwaltschaft steckt Graffiti-Sprayer in den Knast, weil angeblich „Fluchtgefahr“ besteht. Der 19jährige ist bereits achtmal angeklagt und einmal auf Bewährung verurteilt worden  ■ Von Plutonia Plarre

Das Amtsgericht Tiergarten hat jetzt zum erstenmal Haftbefehl gegen einen 19jährigen Graffiti- Sprayer wegen Sachbeschädigung in mindestens 17 Fällen erlassen. Der junge Mann wurde am Dienstag zu Hause festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. Nach Angaben von Justizsprecher Rüdiger Reiff soll der Beschuldigte neben diversen Hauswänden unter anderem eine Herrentoilette des Hertie-Kaufhauses, die Jalousie eines Penny-Marktes, den S-Bahnhof Gesundbrunnen, das Schwimmbad Seestraße und einen S-Bahn-Waggon „verunstaltet“ haben. Außerdem wird dem Graffiti-Sprayer zweifacher Diebstahl zur Last gelegt.

Den Haftbefehl hat die Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Fluchtgefahr beantragt. Der junge Mann ist inzwischen achtmal wegen diverser Sachbeschädigungen durch Graffiti innerhalb eines Jahres angeklagt. Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft habe der Amtsrichter mit dem Hinweis auf die „schnell aufeinanderfolgenden Fälle“ und den zu erwartenden Bewährungswiderruf in einem anderen Verfahren bejaht. Laut Reiff war der junge Mann bereits letzten August wegen Sprühens in drei Fällen und gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen zu einer einjährigen Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Daß er danach weiter gesprüht habe, wolle ihm die Staatsanwaltschaft durch Zeugen und sogenannte „Überführungsstücke“ nachweisen. Bei seiner Festnahme seien elf unbenutzte Spraydosen gefunden worden. Gegenüber der Polizei soll er erklärt haben, die Festnahme hindere ihn nicht daran, weiter zu sprühen. Wenn er freikomme, habe er einiges nachzuholen.

Der harte Kern der Sprüher in Berlin wird auf 200 bis 300 Jugendliche geschätzt. 2.000 bis 3.000 Jugendliche bekunden „deutliches Interesse“, und 10.000 bis 12.000 füllen sich dem Graffito „verbunden“. Die Zahlen stammen aus einer Studie der Senatsjugendverwaltung vom vergangenen Oktober. Die Graffiti-Szene wird als reine Jugendbewegung eingestuft, weil 21jährige und Ältere kaum eine Rolle spielen.

Die Kriminalisierung der Szene läuft seit einem guten Jahr auf vollen Touren, seit die Polizei die Sonderermittlungsgruppe „Graffiti in Berlin“ (GiP) ins Leben gerufen hat. Der „Erfolg“ der GiP ist in der jüngst veröffentlichten Kriminalstatistik 1995 nachzulesen. Darin ist von 4.359 Sachbeschädigungen durch Sprühen die Rede, zu denen 3.414 Tatverdächtige ermittelt worden seien.

Nur ein Prozent der Tatverdächtigen habe im weitesten Sinne Gewalt angewendetet, verwahrte sich die jugendpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Jeannette Martins, gestern gegen die Versuche der CDU, die Graffiti-Szene bei der Bevölkerung zu dämonisieren.