Jetzt bleibt nur noch "Bravo"

■ Still und leise wurde nach 50 Jahren die ostdeutsche Kindergazette "ABC-Zeitung" eingestellt

„Ach, was waren das für Zeiten“, seufzt SuperIllu jede Woche, Burdas Zentralorgan für das von Marketingfritzen zusammengeschusterte „Ostgefühl“. Und was nur aus den alten Helden geworden ist! Eine historische Aufgabe wäre es, all die Alltagsverwerfungen zusammenzutragen, die die Große Wende im Osten mit sich brachte. Es flogen ja nicht nur Erich und seine Volksbildungsministerin Margot nach Chile. Es schulterte ja auch „unser Sandmännchen“ seinen Beutel in die Marktwirtschaft. Oder Pittiplatsch und Schnatterinchen: Die mußten sich dann sogar mit Nebenjobs als Technostars über Wasser halten. Rollo und Flitzi gingen ganz.

Die traditionsreiche ABC-Zeitung, über deren Seiten die beiden jahrzehntelang geflitzt waren, durfte zunächst bleiben. Doch nun, kurz vor dem fünfzigsten Geburtstag, erschien in aller Stille die letzte Nummer der Kinderzeitschrift, die zuletzt noch 36.000 Abonnenten hatte. Die erfuhren durch eine versteckte Mitteilung von dem Ende (und davon, daß sie nun mit der Pferdezeitschrift Lissy beglückt werden). Der Rastatter Pabel- Moewig-Verlag, der das Blatt 1991 zusammen mit dem Grundschülerheft Bummi von der Treuhand übernommen hatte, gibt wirtschaftliche Gründe für das Ende an. „So etwas geht überhaupt nicht mehr“, sagt Hans-Jürgen Weller, zuständig für Jugendblätter in dem Verlag, der sein Geld ansonsten mit Romanheften und Billigsex verdient. „Dramatische Rückgänge“ der Abonnentenzahlen hätten zu Verlusten geführt. Dagegen heißt es aus Mitarbeiterkreisen, Moewig habe schon lange das Interesse an ABC verloren. Um Neuabonnenten, die den bei Kinderblättern natürlichen Schwund ausgleichen, habe man erst gar nicht geworben, eine (vielversprechende) Ausdehnung auf den West-Markt oder den Vertrieb am Kiosk nie wirklich gewagt.

Damit scheint das verflossene Kinderheft das letzte in einer ganzen Reihe von Ex-DDR-Blättern zu sein, die an der Unfähigkeit und Unlust der West-Verlage mit ihren Ost-Objekten zugrunde gingen.

Kein Interesse mehr an den „ABC“-Schülern

Wie der Branchenriese Gruner & Jahr, dessen Engagement in Ostdeutschland nichts als eine lange Spur von Einstellungen nach sich zog (letztes Opfer: die TV- Zeitschrift F.F.) oder die Nürnberger Gong/Sebaldus-Gruppe, die das ambitionierte Modeblatt Sibylle an die Klippe brachte, über die es dann stürzte, scheiterten sie alle an ihren blauäugigen Erwartungen: Sie hatten einfach geglaubt, ohne große Investitionen die gigantischen DDR-Auflagen übernehmen zu können – und sich für ihren Markt kein Stück interessiert.

Enorme Auflagenzahlen schrieb zu DDR-Zeiten auch die ABC-Zeitung. Das Lern- und Rätselblatt wurde noch in der Sowjetischen Besatzungszone gegründet und hat Generationen von ostdeutschen Schulkindern im Schul- und Pionieralltag mit Rätseln und Lernaufgaben begleitet. In der Schule war ABC fast Pflichtlektüre, abonniert für Pfennigbeträge über die Lehrer. Nach der Wende wurde das Heft bunt und nannte sich, damit die Kids wissen, wohin die Reise geht ABC-Freizeitspaß. Inhaltlich geriet der Spaß ins Schlingern: Lernblatt oder Junior- Bravo sollte ABC sein, vielleicht auch ein Comic-Heft, wie der Verlag für kurze Zeit versuchte. Dennoch standen 1993 immer noch 80.000 Leser in der Abokartei. Schließlich glaubte die Redaktion, ihre Lücke gefunden zu haben: Mit einer Mischung aus Take That und Umweltthemen, Tierpostern und anspruchsvollen Fotogeschichten (Ostalgie hat sich ABC stets geschenkt – das ist wohl eher etwas für Opa und Oma). „Wir wollten die 10- bis 12jährigen als Kinder ernst nehmen“, beschreibt Redakteur Sascha Böhnke, „während sie überall sonst Erwachsene sein müssen.“

Bravo, das Kinder im Schnelldurchlauf zu Erwachsenen umspült, füllt zunehmend diese Alterslücke – und ansonsten das Fernsehen. „Wo ein Kind die Zeitschrift selbst kaufen muß“, glaubt der Moewig-Vertreter „gibt es keine Akzeptanz mehr“ für die Kinderthemen. Mit einem anderen Ost-Objekt erhofft sich der Verlag mehr Erfolg. Bummi (140.000 Auflage) soll auf den Westen ausgedehnt werden und gegen den hauseigenen Bussi-Bär ins Rennen um die Grundschulkinder gehen. Da bezahlen noch die Eltern. Lutz Meier