Kußfest bis zuletzt

Zweimal Shakespeare: Laurence Fishburne als coole Katze „Othello“, Ian McKellen „Richard III“  ■ Von Harald Fricke

An die vierzig Theaterstücke in 20 Jahren – keine Textfabrik hat so massenhaft produziert wie William Shakespeares. Einige Komödien über Irrungen, Wirrungen und lustige Weiber, dann ein halbes Dutzend historische Schlachtenepen und mittendrin „Romeo & Julia“, was fürs Herz. Zwischen 1603 und 1605 soll „Othello“ parallel zu „König Lear“, „Hamlet“ und „Macbeth“ entstanden sein. Genau weiß man's nicht, denn der Autor als Produzent wird alle paar Jahre von der Shakespeare-Forschung in Frage gestellt.

Mit den Interpretationen ist es ähnlich: Sechsmal wurde „Othello“ in Großbritannien, der Sowjetunion und selbst der DDR verfilmt. 1952 spielte Orson Welles den eingefärbten Mohren expressiv als Maniker im Kampf zwischen Gut und Böse, 13 Jahre später war es Laurence Olivier. Zuletzt hat ihn der glatte Placido Domingo 1986 für Franco Zeffirellis üppigen Ausstattungsschinken gesungen. Mit Laurence Fishburne hat sich Oliver Parker für die naheliegendste Lösung entschieden und die Rolle einfach mit einem Schwarzen besetzt. Fishburne, sonst eher auf Killer und Tina-Turner-Ehemänner gebucht, sieht „Othello“ als „perfect muthafucker“ – jedenfalls erklärt er dem britischen Face- Magazin damit sein Interesse an dem Klassiker. Die Reime erinnern ihn an HipHop und überhaupt „this shit swings, it swings man!“ Jeder Homeboy könne von Shakespeare lernen, schließlich hat nicht einmal der Rap Worte erfunden, in denen „brain-pan“ einfach „Schädel“ bedeutet.

Kußtechnisch sehr ums Wohlbefinden bemüht

Damit das ganze nicht zu arg ins Partyhafte abdriftet, wurde ihm von Parker der ehrgeizige Kenneth Branagh als Jago zur Seite gestellt, was die zweieinhalb Filmstunden lang doch ganz passabel ausschaut. Wenn Fishburne vor Eifersucht rasend wie eine Dampframme durch die Landschaft wankt, hüpft der kleine Rotbart sehr geschmeidig um ihn herum, und auch sonst geben die beiden ein besseres Paar ab, als Desdemona und Othello in ihren innigsten Ganzkörperszenen. Das allerdings liegt vor allem an Iréne Jacob, die seit Kieslowskis „Rot“ leidvoll mit einem mütterlichen Marien-Blick in die Gegend starrt, selbst wenn sich Fishburne leck- und kußtechnisch sehr um ihr Wohlbefinden bemüht. Zum Trost darf er danach mit Branagh an Kampfstöcken toben, diverse Blutstropfen austauschen und Männerschwüre schwören. Detailgetreu hält sich Parker ans Original, und Branagh ist eh von Shakespeare besessen. In jeder Wendung ist er ganz Intrigant, jede Grobheit spielt er mit der rauhen Jungshaftigkeit eines irischen Bauern durch, ständig fährt seine Hand zum Hosenbund und holt doch nur einen Dolch hervor. Der Satz „put money in thy purse“ geht ihm schelmisch spitz von den Lippen und in Roderigos Ohr, als würde er sich bereits zum Einstieg wie Volkes Stimme über die Verzweiflung des hasenfüßigen Adels mokieren. Später sticht er umso härter zu: „Jago wird oft als diabolische Figur gezeigt, als ein Mann, der totale Kontrolle über sich hat. Ich finde es viel spannender, ihn als normalen Mann zu zeigen, der sich plötzlich in einer Situation befindet, in der er Gott spielen kann.“

Dafür hat Parker ihm in sehr vielen Monologen Großaufnahmen gelassen, bei denen man den Rest der Besetzung fast vergißt. Wen kümmert da noch Fishburne als ein von Liebeswahn gepeinigter Othello, wenn Branaghs Augenbrauen sich auf voller Leinwandbreite verziehen. Selbst im tragischen Schlußgemetzel führt Fishburne zwar die bekümmerliche Rede vom Elend des ungeliebten Schwarzen, aber Branagh hat trotzdem das letzte Wort, bevor er tot über seinem Widersacher niedersinkt. Bei Shakespeare war Othello noch allein neben Desdemona gestorben, „killing myself to die upon a kiss“.

Ganz anders geht Richard Loncraine mit „Richard III“ ins Gericht. Das heilsgeschichtliche Historien-Drama, in dem der macchiavellistische Verführer an einer Übermacht aufrechter Royalisten scheitert, wurde von ihm in die dreißiger Jahre übertragen. Richard III., das ist die ewige Wiederkehr des Bösen, das wie Hitler mit kaltem Herzen töten läßt und dann im Dunkeln einsam weinend Stalin gleicht. Es herrscht Bürgerkrieg in England, und der bucklige Herzog von Gloucester läßt als Monster in Snipergestalt den königlichen Hof beiseite räumen. Alles ist zunächst in gedeckten Tönen gehalten, das Militär stets muffig und moosgrün, und Ian McKellen changiert in der Rolle des Richard hervorragend zwischen Dandy, Feldherr und Kettenraucher: „Das passiert alles sehr schnell und ist aufregend, sehr sexy, sehr gewalttätig“, so McKellen über seine Faszination im Umgang mit dem Bösen.

Am Ende klappt der Führer zusammen

Doch mit jedem Mord wird das Regime dem Faschismus ähnlicher, die Uniformen färben sich SS-schwarz, Lord Buckingham als Berater ist Göring nachempfunden; der Wappen-Eber der Gloucesters soll auf rotem Grund ans Hakenkreuz erinnern und die Ausrufung des neuen Königs findet in der Atmosphäre des Nürnberger Reichsparteitages statt. Die Verwandlung der Gestalt aus elizabethanischer Zeit zur Bestie in Naziuniform geht mit einer einfältigen Machtpsychologie einher. Zwischen dem Gefühlskrüppel und seinen stiernackigen Söldnern spielen sich ahnungsvolle Homoszenen ab, während die Frauen an seinem Wegesrand zu Morphium greifen; am Ende klappt der Führer zusammen, als ihn die Königin Mutter mit Liebesentzug straft.

Das alles ist sehr modern, nur paßt es nicht zum Text. Was Shakespeare im Original als ausgetüftelten Monolog über die göttliche Ordnung und das Gesetz der Natur ins Vorspiel gepackt hatte, wird von Loncraine auf der Kabarettbühne als Swingparty parodiert. Die Rede über den Haß auf seinen verwachsenen Körper beendet McKellen mit Blick auf den Hosenschlitz in der Toilette; nach dem Pferd für ein Königreich fleht er, als sein Militärjeep im Schlamm stecken bleibt. Überhaupt ist die finale Schlacht ein ziemliches B-Picture-Durcheinander aus Tanks, Pyrotechnik und hongkonghaft herumflatternden Stuntmannen. Richards abschließender Sturz in den Feuertod erfolgt als Trick am Computer. Die Kamera fährt ihm in den lachend aufgerissenen Mund.

„Richard III.“, Regie: Richard Loncraine. „Othello“, Regie: Oliver Parker