Monströses Zensurgesetz

■ betr.: „Bundeswehr bald gesetzlich verglimpft“, taz vom 29. 2. 96, „Soldaten sind Kinder“, taz vom 1. 3. 96

Sybille Tönnies hat sicher recht: Mit dem geplanten Bundeswehransehens-Paragraphen soll Kurt Tucholsky, dem verhaßten Vaterlandsverräter, posthum und ein für allemal der Prozeß gemacht werden, nachdem die Weimarer Justiz das damals nicht gelungen ist; ein Exempel, das wieder mal daran erinnert, daß die politische Justiz der BRD durchaus zu Schlimmerem fähig ist als die von Weimar.

Tönnies sieht das also richtig und trägt ihren Teil dazu bei, indem sie ihrerseits das Urteil über Tucholsky spricht: Er sei einer gewesen, der „Dummheiten“ von sich gegeben habe, klärt sie uns auf und liefert die unvermeidliche allternative Begleitmusik zur ideologischen Bundeswehroffensive von Regierung und Stammtischen. Das Argument, „Mord“ sei nicht der juristisch korrekte Begriff für das, was Soldaten tun, ist einfach abwegig – seit wann orientiert sich Alltagssprache an juristischen Definitionen? Schlimmer ist Tönnies' grobe Verharmlosung der Soldaten als „unschuldige Kinder“. Mit dieser pauschalen Verteidigung spricht sie den Soldaten jede Eigenverantwortung für ihr Handeln ab; so ähnlich verteidigen andere die „Ehre“ der Nazi-Wehrmacht. Tönnies glaubt in der Geschichte die fortschreitende Durchsetzung des Tötungstabus erkennen zu können – eine eigenartige Lesart angesichts dessen, daß die Gemetzel immer schrecklicher geworden sind. Zugleich betont sie den feinen Unterschied zwischen „niederen“ und „höheren“ Beweggründen fürs Töten. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Tucholsky meinte. Wenn er sagte: „Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder“, dann wollte er damit genau diese feine Unterscheidung durchbrechen, die dem Töten im Krieg einen moralischen Sonderstatus einräumt – denn natürlich sind bei den größten Gemetzeln immer die am wenigsten niederen Beweggründe am Werk, wir kennen das –, und damit dem Krieg überhaupt erst die Rechtfertigung liefert.

Vom Grundsätzlichen mal abgesehen, ist es irritierend, daß der taz-Kommentar an einem wesentlichen Punkt völlig vorbeigeht. Das Repressionspotential, das in dem geplanten neuen Gesetz steckt, betrifft beileibe nicht nur das eine Tucholsky-Zitat. Praktisch jede Kritik an Militarismus und Bundeswehr kann nach diesem wahrlich monströsen Zensurgesetz verfolgt werden, denn es geht darin ausdrücklich nicht um irgendwelche Persönlichkeitsrechte, sondern das „Ansehen der Bundeswehr in der öffentlichen Meinung“ wird zum strafbewehrt zu schützenden Rechtsgut erklärt. Damit kann praktische jede Protestaktion gegen eine Bundeswehrveranstaltung ohne weiteres verboten werden. Jede kritische Publikation kann beschlagnahmt, jede Versammlung polizeilich aufgelöst werden, wenn auch nur der Verdacht besteht, daß das Ansehen der Armee leiden könnte. Jede Karikatur, auf der Soldaten in nicht glorifizierender Weise dargestellt sind, kann Anlaß für Ermittlungen und Hausdurchsuchen werden. Kritik an Männerbündelei und patriarchaler Sozialisation beim Militär kann genauso strafbar sein wie Hinweise auf Nazikontinuitäten in der Traditionspflege. Wir dürfen noch gespannt sein, ob die „Verunglimpfung“ von Wehrmachtssoldaten „in Beziehung auf ihren Dienst“ unter das Gesetz fällt; theoretisch sicherlich dann, wenn gleichzeitig an jene Wehrmachtsoffiziere, die am Aufbau der Bundeswehr beteiligt waren, und ihre Taten erinnert wird.

Nicht alle AntimilitaristInnen werden künftig in den Knast kommen (einige ganz sicher), aber ohne Zweifel ermöglicht das Gesetz die effektive Kriminalisierung aller, die gegen die Militarisierung der BRD Widerstand leisten, und selbst wenn die Gerichte nachträglich zu Gunsten der Meinungsfreiheit entscheiden sollten, ändert das nichts an seinem Nutzen als präventives Repressionsinstrument. Angesichts dessen ist die äußerst moderate Kritik in der taz schon verdächtig. Ist das so zu verstehen, daß die taz ohnehin nichts mehr drucken wird, was gegen das Gesetz verstoßen könnte?

Die Reaktionen von SPD und Grünen sind erschreckend. Nicht etwa die komplette Abschaffung der Meinungsfreiheit in Bezug auf die Bundeswehr wurde kritisiert, sondern die „Überflüssigkeit“ (Schily) des neuen Gesetzes. Der einzige, der sich, soweit berichtet wurde, „schockiert“ äußerte, war Hirsch (FDP). Die deutschen Parteien rücken zusammen, die Begeisterung über deutsche Militär- „Missionen“ im Ausland soll das von gesellschaftlichen Widersprüchen gebeutelte Volk einigen. Nun wird rechtzeitig dafür gesorgt, daß selbst Aufklärung über die absehbaren Konsequenzen dieser Politik (vulgo Wehrkraftzersetzung) verfolgt werden kann. [...] Toni Menninger, München

„Soldaten sind Kinder!“ das ist auch aus meiner Sicht die richtigere Bezeichnung. Ich würde aber noch ein Attribut hinzufügen: Soldaten sind mißbrauchte Kinder. Diese Beifügung weist noch einmal mehr auf den tragischen Aspekt des Ganzen hin und auf die Täterschaft der verantwortlichen „Erwachsenen“.

Der Mißbrauch dieser Kinder beginnt spätestens in dem Moment der Wehrpflichterfassung, setzt sich fort in einem unwürdigen, schikanösen Prozeß, wenn das Kind den Wehrdienst verweigern will.

Oft beginnt der Mißbrauch der jungen Menschen aber schon vorher im Verlauf einer Erziehung zum Wehrpflichtbewußtsein – und gipftelt dann schließlich in der Ausbeutung des dahin geformten Zöglings.

Soldaten sind mißbrauchte Kinder – ich werde mir diesen Satz auf mein Auto kleben. Brigitte Borck, Hamburg

Das ist ja nett, endlich kümmert man sich einmal um die ewig geschmähten Soldaten. Sie, die ständig beleidigt und verunglimpft werden, obwohl sie uns (dem vollgefressenen und zufriedenem Restvolk) doch tagtäglich den Frieden (und die Freude und den Eierkuchen) bewahren und das auch noch unter ständiger, nervenzerfetzender Lebensgefahr im hochkomplizierten Dauereinsatz. Doch seltsam, ich habe es hier (Oberbayern) noch niemals erlebt, daß man die Bundeswehr beleidigen würde, obwohl ich natürlich ständig auf der Lauer liege, einen dieser bösartigen, wehrkraftzersetzenden, natürlich linken (bäh) Schmarotzer der gerechten Strafe zuzuführen.

Zumeist erlebt man nämlich das Gegenteil, die Bundeswehr ist gut, die Zivis sind böse und als ehemaliger Zivi (oh, wie ich mich schäme, ich schlimmer Drückeberger) frage ich mich jetzt natürlich: Haben wir vaterlandslosen Vaterlandsverräter jetzt etwa auch den besonderen Ehrenschutz und könnten so beim nächsten verbalen Angriff auf uns juristisch zurückschlagen, oder gilt die „besondere Fürsorgepflicht“ etwa nur für eine Seite (die Einschränkungen in die individuellen Rechte sind ja auch bei Zivildienstleistenden während ihres Dienstes voll gültig)? Rainer Berger, Wasserburg

Wer behauptet, Soldaten wären potentielle Mörder, muß bestraft werden. Abgesehen davon, daß kein Mensch von sich behauptenkann, er sei durch einen Soldaten zu Tode gekommen, weiß die Welt seit vielen hundert Jahren, daß deutsche Soldaten im Gegensatz zu anderen Waffenträgern den Befehl zu schießen grundsätzlich verweigern.

Wer erinnert sich nicht an die vielen Blamagen, die deutsche Heerführer erlitten, wenn sie ihren Männern einen Angriff befahlen? Wer ist denn mitgeritten, als Blücher „Vorwärts, Kinder!“ rief? Wer wäre dem alten Fritz denn gefolgt, als er die Fahne des Regiments Bülow ergriff und bei Zorndorf dem Feind persönlich entgegenging? Hat sich Martin Niemöller nicht selbst in den Torpedoschacht gelegt, nachdem er den Befehl „Feuer!“ gegeben hatte? Und war es nicht die größte Niederlage, die Hitler hat hinnehmen müssen, als er der deutschen Armee einen Einmarsch nach Polen befahl? Alles blieb doch stehen. Kein Wagen rollte. Kein Schuß fiel. Überall, um das ganze deutsche Reich herum, lehnten sich Ausländer über die Grenze und lachten den Reichskanzler so lange aus, bis er mit seiner Frau Selbstmord beging. Und nun sollen die deutschen Soldaten, die seit vielen Generationen ihrem Gewissen zum Sieg über ihre Angst verholfen haben, das heißt wahre Menschen sind, von Verleumdern straflos verunglimpft werden?

Ich protestiere auf das energischste. Damit sie zur Besinnung kommen, müssen die Verleumder zu einem Studium der deutschen Geschichte verurteilt werden. Peter Pausch, Heidelberg

Als Student der Philosophie habe ich in meinem Logikgrundkurs gelernt, daß folgender Syllogismus Gültigkeit besitzt: 1. Menschen sind sterblich. 2. Sokrates ist ein Mensch. Also 3. Sokrates ist sterblich.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, daß es legal sei, zu behaupten, 1. Soldaten seien Mörder. Zusammen mit der wohl unbestreitbaren Prämisse: 2. Bundeswehrsoldaten sind Soldaten, ergibt sich aber nach oberem Syllogismus, daß 3. Bundeswehrsoldaten Mörder seien. Nun mutet es doch reichlich absurd an, wenn das Gesetz zwar erlaubt, zwei Prämissen zu äußern, aber verbietet, aus diesen die Konklusion zu ziehen.

Auch wenn man längst meint, sich von der vernünftigen Begründung des Rechts verabschieden zu können, sich vom Verstand zu verabschieden hieße, der Willkür Tür und Tor zu öffnen.

Wenn der Bundestag sich nicht aus der Welt des Verstandes verabschieden will, sollte er die restliche Zeit der laufenden Legislaturperiode darauf verwenden, die Ungültigkeit dieses Syllogismus zu beweisen, so er die 3. Konklusion nicht akzeptieren will. Axel Gebauer, Berlin

Kann es auf die hysterischen, im Grunde lächerlichen Bestrebungen, die Soldateska nun unter Ehrschutz zu stellen – und damit das Bundesverfassungsgericht zu „korrigieren“: politische Justiz in Deutschland – eine ernsthafe Antwort geben? Vielleicht kann eine kleine Umkehrung die ganze Absurdität des aufgeregten Wirbels um den Ausspruch eines gewissen Ignaz Wrobel (= Kurt Tucholsky) verdeutlichen: „Soldaten sind Deserteure“, jawoll! Potentielle jedenfalls, immerhin (ob das nun auch Verunglimpfung ist?). Schön wäre es. Und auch billiger und konsequenter.

Denn, in Zeiten knapper Kassen zu beachten: Da gibt es ein nach Hunderttausenden zählendes Kollegium, das offenbar kollektiv beschlossen hat, an Ausbildungsplan und -ziel (das Schießen auf Menschen gehört schließlich dazu, da hilft auch keine millionenschwere Imagekampagne der Bundeswehr) gemeinschaftlich vorbeizurobben. Eigentlich unglaublich. Oder sind alle Soldaten (potentielle) Heuchler und Betrüger? War keine Verunglimpfung, nur mal so eine Frage. Davon abgesehen: Eine angeblich „starke Truppe“ (Eigenwerbung), die in Weinkrämpfe ausbricht, wenn man ihr ureigentliches Tätigkeitsfeld beim Namen nennt, ist für den „Ernstfall“ – der sich nun wirklich nicht einmal gesetzlich ausschließen läßt – ohnehin nicht zu gebrauchen. Sollen sie ihre teuren, menschenverachtenden Spiele also doch gleich lassen. Besser heute weglaufen als morgen womöglich ein ... (aus juristischen Gründen gekürzt. d.A.) zu sein. Aber vielleicht wird ja umgekehrt was draus: „Mörder sind (potentielle) Soldaten“? Wenn sich denn eines Tages herausstellen sollte, daß die meisten Mörder ihre Fingerfertigkeit der „Schule der Nation“ zu verdanken (und dort leider nur ein bißchen mißverstanden) haben ... Immerhin: „Der Brauch, durch die Leibesstrafe ein Exempel zu statuieren, ist kriegerischen Ursprungs. Deserteure, Spione und Diebe erlitten als erste die Strafe der Enthauptung, der Ertränkung oder des Lebendigbegrabenwerdens“ (R. Villeneuve).

Nein, vielleicht besser: „Soldaten sind Marder“ (bzw. Wühlmäuse, wenn ich mir ansehe, wie zerpflügt zum Beispiel die zum Truppenübungsplatz erklärte Lüneburger Heide aussieht). Doch das ist nun wirklich eine Verunglimpfung, gegen die – zu Recht! – wohl die TierschützerInnen auf die Barrikaden steigen werden. Was also tun mit einem Klub, der ohne Feindbild nicht auskommt, aber nicht erträgt, selbst einmal öffentlich ordentlich angepißt – ganz gewaltfrei, versteht sich – zu werden? Da gibt's nur eins: Abtreten! G. Grüneklee, Sehnde

Hat sich eigentlich noch niemand Gedanken darüber gemacht, was das für Soldätchen sind, die wegen zit. Tucholsky verstört zum Kadi rennen? Und zu solch einem Sensibelchen soll ich Vertrauen haben? Mich allen Ernstes beschützt fühlen?

Da wären mir doch Kerle lieber, die sagen: „Jawoll, wir sind Killer! Wir sind die besten Killer der Welt!“ Aber von Mimöschen möchte ich mich, bitteschön, nicht verteidigt wissen. Wahrlich, ich sage euch: Die wären genauso überflüssig, wie das neue Soldaten = Mörder-Schutzgesetz. Gerd Hedler, München

Das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ hat bekanntlich die Meinungen in der Bundesrepublik gespalten, die Gemüter erregt und die Gerichte beschäftigt.

Ich werde nicht auf die Heiligen Kriege (zum Beispiel die Kreuzzüge im Mittelalter, die Religionskriege des 16./17. Jahrhunderts) eingehen, beschränken wir uns auf unser Jahrhundert, so sind wir uns alle darin einig, daß die Soldaten im Krieg den Feind töten müssen. Da das Töten auf Befehl des Staates angeordnet wird, wäre es zum Beispiel im hypothetischen Fall der Bundesrepublik Deutschland kein „Mord“ im Sinne des § 211 Abs. 2 des StGB, sondern patriotische Pflicht. Ich lasse hier die Frage beiseite, ob ein Krieg gerecht, ungerecht oder verbrecherisch ist, verwandle das umstrittene Zitat zu einer unstreitbaren Aussage für alle Staaten des 20. Jahrhunderts: Soldaten sind im Krieg auf Befehl des Staates Menschentöter.

Psychologisch interessant ist die Reaktion vieler christlicher Abendländer auf das Tucholsky- Zitat: Die Empörung verdeckt den Widerspruch zwischen Theorie („du sollst nicht töten“) und der Praxis (zum Beispiel das Töten im Krieg). Nicht nur im Krieg, auch auf anderen sozialen Gebieten wird das unchristliche, ja antichristliche Tun der abendländischen Christen für kritische Augen sichtbar, so daß sich Nietzsches Diktum („Der Buddhist handelt anders als der Nichtbuddhist; der Christ handelt wie alle Welt“) voll bewahrheitet. Jorge Juan Diz Suárez,

Hamburg

Für einen Zivilisten aus Passion und einen der das Verhängnis Deutschlands in der Vergangenheit im deutschen Faschismus und Militarismus sieht (wie übrigens die ganze friedliebende Welt), ist es nicht nachvollziehbar, daß eine bestimmte Berufsgruppe einen besonderen Ehrenschutz genießen soll. Denkt man daran, daß mit dem gesetzwidrigen Verbot einer Tucholsky-Ausstellung der Einstand der Bundeswehr im Osten (vorerst Deutschlands) begann, so sollte die Bundeswehr kein Staat im Staate werden, der besondere Privilegien genießt. Die Ehre jedes Menschen in diesem Lande, sei er arm oder reich, sei er Asylsuchender oder Obdachloser, sollte (entsprechend dem Grundgesetz) gleich sein und juristisch gleich behandelt werden gegen Verleumder. Nach dem neuesten Bericht der Bundeswehrbeauftragten scheint das umso notwendiger, um menschenverachtende Praktiken gerade auch gegen Soldaten nicht als Tabu unter den Tisch fallen zu lassen. Gerhard Rosenberg, Berlin

Frei nach Leonardo da Vinci möchte ich meine Meinung äußern. „Unsere Lehrer sind die alten Griechen ... und Tucholsky. Alles, was der Mensch auf Erden vermag, haben sie geleistet. Uns bleibt nur eins übrig, ihnen zu folgen ...“ – Sagte da nicht einer: „Hei, das wilde Morden preis ich, / Denn das ist der letzte Trumpf!“ (Paul Scheerbart, 1863). – Als die junge Schauspielerin Claire Waldoff, 1906 mit ihrem Scheerbart-Repertoire im „Roland von Berlin“ auftreten wollte, wurde ihr das Programm wegen antipreußischer, militärfeindlicher Tendenz von der Zensur gestrichen. (Quelle des Scheerbart-Zitat: „Immer um die Litfaßsäule rum“. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1965. Printed in the German Democratic Republic.) Peter W. Tuchenhagen, Seesen

Wenn die Soldaten der Bundeswehr einen besonderen „Ehrenschutz“ erhalten haben werden, dann wird der nächste Schritt wohl der sein, daß sie auf den Kanzler eingeschworen werden, so wie einst die Soldaten der Wehrmacht auf den Führer. Michael Schmitz, Duisburg