Erziehung mit Gummiknüppel

Die Fremdenfeindlichkeit unter Polizisten wird verdrängt, regelmäßiges Thema bei der Fortbildung ist hingegen die „Ausländerkriminalität“  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Ein Spruch blieb bei Otto Diederichs besonders hängen. „Hin und wieder“, hat gegenüber dem Berliner Polizeiforscher ein ranghoher leitender Polizeibeamter vor einiger Zeit offenherzig eingeräumt, „muß ich meine Leute von der Kette lassen“. Diese Leute, das sind Polizeibeamte, und mit dem flotten Spruch ist das Thema auf den Punkt gebracht. „Hilfe, Polizei!?“ heißt der Titel der Podiumsdiskussion am Dienstag abend im Berliner Haus der Demokratie. Es geht vor allem um die Fremdenfeindlichkeit unter Deutschlands Ordnungshütern.

Übergriffe auf Ausländer, Obdachlose oder Prostituierte sind keine bedauerlichen Einzelfälle. Das hat erstmals auch die Polizei- Führungsakademie in Hiltrupp vor wenigen Wochen in einer Studie eingeräumt. Martin Herrnkind, Mitglied der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische Polizistinnen und Polizisten“, macht dafür neben mangelhafter Dienstaufsicht und eingefleischtem Korpsgeist vor allem die „strukturellen“ Defizite im Polizeidienst verantwortlich. Beispiel: Zwar sei der Wunsch zu helfen durchaus ein Motiv, Polizist zu werden. Das Problem dabei sei aber, daß Polizisten zwar „Helfen“ sagen, jedoch „Aufräumen“ meinen. Der Beamte, so Herrnkind, sieht sich gerne als Vollstrecker von Law-and-order-Ideologien. Und deshalb, sagt auch Diederichs, trifft die Polizeigewalt überwiegend „Unterprivilegierte, die sich öffentlich kaum Gehör verschaffen können“.

Fremdenfeindlichkeit in der Polizei ist nicht mehr originäres Thema polizeikritischer Initiativen, wie etwa am Dienstag in Berlin. Spätestens seit den tagelangen pogromhaften Überfällen auf ein Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen und der Untätigkeit der Polizei muß sich die Polizeiführung damit auseinandersetzen. So hat zuletzt die Universität Essen im Auftrag der Polizei-Führungsakademie bei Bund und Ländern nachgefragt, in wieweit das Thema „Fremdenfeindlichkeit und Polizei“ bei der Aus- und Fortbildung der Ordnungshüter berücksichtigt wird.

Statt Curriculum nur Aktionismus

Das Ergebnis der bisher nicht veröffentlichten Studie vom September letzten Jahres, die der taz vorliegt, ist vernichtend. Zwar heißt es in dem 30seitigen Papier: „die Brisanz des Themas ist vielerorts erkannt“. Die Verfasser resümieren jedoch: „Gleichwohl ist man von einer Einbindung der Thematik in ein entwickeltes Curriculum der politischen Bildung bei der Polizei weit entfernt.“

Aus den Antworten der Landes- und Bundesbehörden ziehen die Verfasser den Schluß, „daß die politische Bildung bei der Polizei allzuoft nur kurzfristig auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen reagiert, zum Teil mit punktuellen Veranstaltungen, denen eher Signalcharakter zukommt, als die Funktion, Lern- und Erkenntnisprozesse anzustoßen“. Die den üblichen Ausbildungsplänen oft nur angehängten „Aktivitäten“ deuteten darauf hin, „daß das Thema Fremdenfeindlichkeit und Polizei bisweilen nicht als überdauernde, die Polizei langfristig betreffende Problematik eingeschätzt wird“.

Überraschend zeigt die Studie weiter, wie unter Deutschlands Polizisten Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Ausländerkriminalität zusammengeworfen werden. Beispielhaft wird ein Polizist aus Thüringen zitiert. Bei einem Seminar „Flucht in Vorurteil und Fremdenhaß“ sagte der Beamte: „Dieselben Asylbewerber, mit denen ich tagsüber wegen Ladendiebstahl zu tun habe, muß ich nachts vor Anschlägen schützen.“ Auch das ist aber kein Einzelfall: In Rheinland-Pfalz wurde bereits in der Einladung zu einer Fortbildungsveranstaltung als Phänomen problematisiert, daß die Polizei einerseits „Situationen ausgesetzt sei, in denen Minderheiten gegen herrschendes Recht verstoßen“. Andererseits müsse sie dann „Minderheiten immer häufiger vor Übergriffen und Gewalttaten schützen“. So werden denn Ausländer schon auf höchster Polizeiebene als Täter und Opfer zugleich stigmatisiert. Kein Wunder also, wenn in den Reihen der Polizei geglaubt wird, diese mit dem Gummiknüppel erziehen zu müssen.