Schwerkraft und Nützlichkeit necken

■ Eine Ausstellung würdigt die komplexe Entwurfsarbeit der Architektin Zaha Hadid

Wenn man die Grenzen der Architektur von den menschlichen Gewohnheiten sehr weit hinein in den künstlerischen Ausdruck schiebt, dann ist das Resultat leicht jenes, mit dem nicht nur Zaha Hadid zu kämpfen hat: Jeder, der sich auch nur am Rande für Architektur interessiert, kennt ihren Namen, aber ihr gebautes Werkverzeichnis umfaßt nach fast 20 Jahren Praxis gerade einmal ein mittelgroßes Gebäude, dazu einige Pavillons und kleinere Innenausbauten.

Ähnlich wie viele ihrer männlichen Kollegen, die man unter der glasartigen Begriffsglocke des „Dekonstruktivismus“ ghettoisiert (Peter Eisenman, Berhard Tschumi, Coop Himmelblau, Daniel Libeskind u.v.a.m.), hat die geborene Irakerin, die seit einigen Jahren ihr Büro im Londoner Stadtteil Clerkenwell unterhält, keine Schwierigkeiten, Wettbewerbsjurys von der Qualität ihrer Entwürfe zu überzeugen. Einige erste Preise in internationalen Wettbewerben zeugen davon. Aber beim Mut der Bauherren, die explosive Kreativität Hadids auch in starre Form zu gießen, ist meist Ende.

Sei es in Berlin, wo der Bauherr ihren siegreichen Entwurf für ein 2,70 Meter breites Grundstück am Kurfürstendamm kaltschnäuzig verwarf und dafür den gedankenlosen Technizismus eines Helmut Jahn Form werden ließ, oder bei dem Wettbewerb für das Cardiff Bay Opera House, den Hadid gewann. Hier rebellierten die Bauherren, luden konkurrierende Architekten dazu ein, ihre Entwürfe zu überarbeiten, und hielten mit Hinterzimmermauscheleien den Skandal solange am Kochen, bis der Lotto-Fund, der das Projekt bezahlen sollte, sich dafür entschied, den rugbyverrückten Walisern lieber ein neues Stadion zu finanzieren.

Zwar hat Hadid den Fall noch nicht aufgegeben – „bald sind dort Wahlen, da kann sich wieder alles ändern“ –, aber das Stigma der glücklosen Baukünstlerin wird sie trotzdem nicht los. Was auch nicht weiter verwunderlich ist, denn selbst ein entwurfgeschultes Auge kriegt das Flimmern, wenn es etwa auf die Gemälde starrt, die Hadid für jenen Wettbewerb geschaffen hatte, mit dem sie den Durchbruch schaffte: The Peak in Hongkong.

Auf einem Hügel hinter der Stadt sollte ein Komplex mit Clubhaus, Appartmentwohnungen, Swimmingpool, einem Eigenheim für den Bauherren und vieles mehr entstehen, mit dem eine derart exquisite Lage durch noblen Protz glasiert wird. Hadids in allen Belangen und Ansichten unkonventionelle Lösung fand schließlich die Zustimmung der Jury und des Bauherren, aber nur ein sehr intensives Studium des Projektes gibt einem die Möglichkeit, das Potential des Entwurfs zu entziffern. Bei flüchtigem Genuß muß man Hadids Vorschlag für die spinnerte Einreichung einer Künstlerin halten.

Inzwischen hat sich Hadids Stil etwas beruhigt, ist geklärt von zuviel Dekor und absichtlicher Kunst, aber zum Glauben eines Investors ist es noch immer weit. Da muß schon ein Freigeist wie Rolf Fehlbaum, Chef des Möbelunternehmens Vitra kommen, der auf seinem Firmengelände Stararchitekten sammelt. Neben Gebäuden von Alvaro Siza, Nicholas Grimshaw, Frank Gehry und Tadao Ando hat Hadid hier 1993 ihren „Erstling“ realisiert: eine dynamisch die Vorstellungen von Gravitation und Nützlichkeit neckende Unterbringung für die Betriebsfeuerwehr bewies, daß Hadid baubar ist.

Seitdem schleift es wieder. Zwar ist man gerade in Deutschland immer sehr interessiert an ihren Ideen gewesen – Projekte in Stuttgart, Düsseldorf, Berlin oder für die Hamburger Hafenstraße zeigen das –, aber bis auf ein Wohngebäude in Berlin folgten den Bekundungen keine Taten. Wien versucht sich jetzt am Neo-Konstruktivismus der temperamentvollen Architektin. Geschlungen um ein altes Eisenbahn-Viadukt von Otto Wagner entwarf Hadid einen gemischt-genutzten Komplex, dessen Energien in alle erdenklichen Richtungen weisen und deren Bau zumindest in der Andenkphase nicht stecken geblieben ist.

Die Ausstellung, die gestern in Anwesenheit der Architektin eröffnet wurde, zeigt Entwürfe und Modelle einiger ausgewählter Projekte der letzten fünf Jahre.

Till Briegleb

Galerie Kammer, Münzplatz 11, Di-Fr, 12-18, Sa+So, 12-15 Uhr, bis 20. April