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Funktionärsreflexe in der CDU

■ Ein mißglückter Unions-Versuch, an Attraktivität zu gewinnen

Ein Abend, symptomatisch für den Zustand der Hamburger Christdemokraten: Landesparteitag! Reformdebatte! Wieder attraktiver werden für den Bürger! Auch für die Bürgerin, na klar! – Ein Drittel der gewählten Delegierten kommt erst gar nicht.

Der Rest, gut 150, verteilt sich an den langen Tischen im Reimarus Saal der Patriotischen Gesellschaft. Schwätzchen hier, Schwätzchen dort. Vorne am Rednerpult mühen sich Parteichef Dirk Fischer und Kronprinz Ole von Beust um Gehör, fordern auf zur Geschlossenheit, wettern gegen innerparteiliche Intrigen, wie sie zuletzt im Altonaer Kreisverband zu bewundern waren. Basis gegen Funktionäre, Echternach gegen van Hooven, van Hooven gegen Hielscher, Schlammschlachten, Fußtritte. „Ich möchte,“ bittet von Beust, „daß Sie den simplen Versuch unternehmen, dem anderen zunächst Gutes und nicht nur Schlechtes zu unterstellen.“ Partei ganz unten. Wahlergebnis mies, Mitgliederzahlen sinkend, die Stimmung latent gereizt.

Es ist nicht so, daß die Parteispitze diese Untergangsstimmung nicht wahrnimmt. Die Satzung soll geändert werden. Ein bißchen Basisdemokratie, die Mitglieder sollen gelegentlich befragt werden, vielleicht sogar zu Personalfragen. Entscheiden sollen sie aber nicht. Denn: „Im großen und ganzen sind wir doch ganz gut gefahren mit unserer repräsentativen Demokratie,“ mäßigt Ole von Beust allzu ungestüme Forderungen nach einem – ja, man muß es wohl Systemwechsel nennen, um zu begreifen, warum sich der Parteitag nicht dazu entschließen kann, auch nur ein Stückchen Entscheidungskompetenz abzugeben.

Wäre es nicht ein Schuldgeständnis gewesen, Verantwortung jetzt – ausgerechnet jetzt – an die Mitglieder zu übertragen? Eine Bankrotterklärung, die besagt: Jawohl, wir, die Delegierten, die Parteispitze, sind verantwortlich für den gegenwärtigen Zustand der Hamburger Union? Spielt da vielleicht auch dieser Gedankengang eine Rolle: War denn alles so schlecht, was wir in der Vergangenheit getan haben? Unser Engagement völlig für die Katz–? Ein abrupter Systemwechsel – das ist in diesem Land andernorts in viel größerem Maßstab zu verfolgen – überfordert die Menschen. Verteidigungsreflexe.

Da hält man lieber fest am – wenn auch nicht allzu – Bewährtem. Urwahl von Bundestagskandidaten – abgelehnt. Mitgliederinitiativen – abgelehnt. Mitgliederentscheidungen – abgelehnt. Was bleibt an diesem Abend, ist eine winzige Veränderung: Künftig können unverbindliche Mitgliederbefragungen beschlossen werden – von den Gremien, versteht sich. Und ein neuer Appell von Parteichef Dirk Fischer: „Laßt uns diesen Beschluß bitte positiv darstellen.“

uex

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