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Täter? Opfer? Arbeitslos!

■ Chefarzt des Tropeninstituts entlassen / Senatorin: Schwerwiegendes Verschulden / Viel Empörung, wenig Zustimmung Von Sannah Koch

Erst war er Täter, am vergangenen Wochenende wurde er plötzlich Opfer, nun ist er arbeitslos: Professor Manfred Dietrich, Leiter der Klinik im Bernhard-Nocht-Institut (BNI), erhielt gestern seine Kündigung. Angesichts des Gewichts der gegen ihn im Zusammenhang mit dem Tod von fünf Malaria-Patienten erhobenen Vorwürfe, so argumentierte Gesundheitssenatorin Fischer-Menzel gestern, sei eine weitere Tätigkeit unzumutbar. Im Gegensatz zur Hamburger Medienlandschaft blieb die Behörde damit ihrer Linie treu: Mit der Entlassung des Mediziners, den einige Zeitungen kürzlich im Totalschwenk zum Opfer einer Behördenintrige hochstilisierten, verabschiedet sie sich nach Beurlaubung und Suspendierung nun fristlos von dem umliebsamen Mitarbeiter.

Die Meinungen über ein Fehlverhalten des Chefarztes klafften in den vergangenen Wochen immer mehr auseinander: Als die Vorfälle im November öffentlich wurden, schien Hamburg zunächst um einen Arzt-Skandal reicher. Doch nach dem ersten Gutachten des Münchner Tropenmediziners Dieter Eichenlaub, der Dietrich attestierte, 1990 bis '92 den Tod von fünf Malaria-Kranken verschuldet zu haben, weil er sie zu spät in eine Intensivklinik verlegen ließ und drei der Patienten außerdem ohne ihre Einwilligung in eine Medikamentenstudie einbezogen zu haben, folgten weitere Gutachten. Und die sind zu Punkt eins wiedersprüchlich, zum zweiten aber belastend.

Die Behörde schließe sich den Aussagen Eichenlaubs an, betonte Norbert Lettau, Leiter des Gesundheitsamtes, gestern. Ob fünf Patienten zu spät verlegt wurden oder möglicherweise nur einer, und selbst wenn ihre Überlebensprognose schlecht gewesen sei – Dietrich hätte jede Chance ergreifen müssen, um ihr Leben zu retten. Als Chefarzt, so Lettau, trage er die Verantwortung für Diagnose und Therapie jedes Patienten.

Ein ebenso schweres Verschulden sei das Fehlen der schriftlichen Einwilligung von sieben Patienten in die Medikamentenstudie. Dietrich hatte an 24 Kranken ein in Deutschland nicht zugelassenes Medikament (Halofantrin) und eine zur Behandlung von Malaria unerprobte Arznei (Trental) getestet. Auch hatte er für diese Patienten keine Versicherung abgeschlossen, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Für die Behörde ein Verstoß gegen Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der Kranken. „Schwerwiegendes und schuldhaftes Verschulden“, das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig erschüttert, so die Senatorin. Mit Intrigen habe die Kündigung also nichts zu tun. Peter Lippert, Staatsrat der Behörde, räumte aber ein, daß es früher in administrativen und medizinischen Fragen zu heftigen Auseinandersetzungen mit Dietrich gekommen sei.

Der BNI-Personalrat wiedersprach dem Rauswurf gestern, weil er nicht ausreichend sachlich begründet worden sei – das Gremium muß allerdings nur gehört werden, da Dietrich leitender Angestellter ist. Zum vorbehaltlosen Fürsprecher des Arztes machte sich die CDU: Sie will in der morgigen Bügerschaftssitzung einen Mißbilligungsantrag gegen Fischer-Menzel stellen, weil sie „bösartig und hinterhältig“ vorgegangen sei. Auch Ärztekammer-Präsident Frank-Ulrich Montgomery erteilte Dietrich einen Persilschein, noch bevor der Kammer-Untersuchungsausschuß – eigens eingesetzt, um die Vorfälle zu beleuchten – seine Arbeit aufgenommen hat. „Die Gründe für die Kündigung sind nicht nachvollziehbar“, so Montgomery. Einzig bei den Grünen stieß die Entlassung auf Zustimmung.

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